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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Hintere Achse, am andern die Deichsel, mit aller Mühe konnte min sie nicht flott machen, sie mußten in Langenthal zurückgelassen werden. Nun lebte damals in Langenthal eine große Familie, zu welcher fast die ganze Einwohnerschaft gehörte, die wahrscheinlich ausgestorben sein wird, Namens Durstig, sie hatte die Eigenthümlichkeit, daß sie den Wein mehr liebte als das Wasser. Zwei Weinwagen auf offener Straße eine ganze Nacht durch war ein nie erlebtes Ereigniß. Da Langenthal zum Kloster gehörte, die Wagen auf des Klosters Grund und Boden standen, so war die Bedeckung mit den andern Wagen nach dem Kloster gezogen, nur die Fuhrleute blieben bei den Wagen zurück, blieben aber nicht alleine. Von allen Seiten trappete es heran, Jeder wollte die merkwürdigen Wagen sehen, und wer sie einmal ansah, dem ging es wie der Eva im Paradies. Als sie den Apfel einmal recht angesehen, konnte sie auch nicht mehr davon los, bis sie drein gebissen. Man stand um die Wagen her, rieth über die Größe der Fässer, die Güte des Weines, und je mehr man rieth, desto zahlreicher ward die Familie Durstig um die Wagen herum. Gut wäre es doch, sagte endlich Einer, wenn Einige die Nacht über bei den Wagen wachen würden, die Uebrigen könnten nach Hause gehen. Er werde meinen, sagte eine Frau, er sei alleine klug, und Niemand merke, warum sie nach Hause sollten; Einem recht, dem Andern billig: wenn er über den Wein wolle, so wolle sie auch daran;

Hintere Achse, am andern die Deichsel, mit aller Mühe konnte min sie nicht flott machen, sie mußten in Langenthal zurückgelassen werden. Nun lebte damals in Langenthal eine große Familie, zu welcher fast die ganze Einwohnerschaft gehörte, die wahrscheinlich ausgestorben sein wird, Namens Durstig, sie hatte die Eigenthümlichkeit, daß sie den Wein mehr liebte als das Wasser. Zwei Weinwagen auf offener Straße eine ganze Nacht durch war ein nie erlebtes Ereigniß. Da Langenthal zum Kloster gehörte, die Wagen auf des Klosters Grund und Boden standen, so war die Bedeckung mit den andern Wagen nach dem Kloster gezogen, nur die Fuhrleute blieben bei den Wagen zurück, blieben aber nicht alleine. Von allen Seiten trappete es heran, Jeder wollte die merkwürdigen Wagen sehen, und wer sie einmal ansah, dem ging es wie der Eva im Paradies. Als sie den Apfel einmal recht angesehen, konnte sie auch nicht mehr davon los, bis sie drein gebissen. Man stand um die Wagen her, rieth über die Größe der Fässer, die Güte des Weines, und je mehr man rieth, desto zahlreicher ward die Familie Durstig um die Wagen herum. Gut wäre es doch, sagte endlich Einer, wenn Einige die Nacht über bei den Wagen wachen würden, die Uebrigen könnten nach Hause gehen. Er werde meinen, sagte eine Frau, er sei alleine klug, und Niemand merke, warum sie nach Hause sollten; Einem recht, dem Andern billig: wenn er über den Wein wolle, so wolle sie auch daran;

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[0071] Hintere Achse, am andern die Deichsel, mit aller Mühe konnte min sie nicht flott machen, sie mußten in Langenthal zurückgelassen werden. Nun lebte damals in Langenthal eine große Familie, zu welcher fast die ganze Einwohnerschaft gehörte, die wahrscheinlich ausgestorben sein wird, Namens Durstig, sie hatte die Eigenthümlichkeit, daß sie den Wein mehr liebte als das Wasser. Zwei Weinwagen auf offener Straße eine ganze Nacht durch war ein nie erlebtes Ereigniß. Da Langenthal zum Kloster gehörte, die Wagen auf des Klosters Grund und Boden standen, so war die Bedeckung mit den andern Wagen nach dem Kloster gezogen, nur die Fuhrleute blieben bei den Wagen zurück, blieben aber nicht alleine. Von allen Seiten trappete es heran, Jeder wollte die merkwürdigen Wagen sehen, und wer sie einmal ansah, dem ging es wie der Eva im Paradies. Als sie den Apfel einmal recht angesehen, konnte sie auch nicht mehr davon los, bis sie drein gebissen. Man stand um die Wagen her, rieth über die Größe der Fässer, die Güte des Weines, und je mehr man rieth, desto zahlreicher ward die Familie Durstig um die Wagen herum. Gut wäre es doch, sagte endlich Einer, wenn Einige die Nacht über bei den Wagen wachen würden, die Uebrigen könnten nach Hause gehen. Er werde meinen, sagte eine Frau, er sei alleine klug, und Niemand merke, warum sie nach Hause sollten; Einem recht, dem Andern billig: wenn er über den Wein wolle, so wolle sie auch daran;

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/71>, abgerufen am 01.05.2024.