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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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bemerkte sie. Kurt war in treuen Händen, in treueren, als er es verdiente. Frau Agnes werweisete nicht, was ihre Pflicht sei und was nicht, was sie ihm noch schuldig sei und wie wohl es ihr eigentlich ginge, wenn das Fieber Meister würde. Frau Agnes that, was sie glaubte, daß gut sei, und was ihr möglich war; aber lange wollte der Tod nicht von der ergriffenen Beute lassen, setzte von Neuem an, trieb Kurt in Fieberhitze und Angst herum, ärger noch als im Utzenstorfer Walde, daß Frau Agnes oft Hülfe nöthig hatte, den unbändigen Kranken festzuhalten auf seinem Lager. Allmählich wich der böse Geist, aber langsam, zum Bewußtsein erwachte Kurt wieder, aber unendlich schwach war er, und wenn die letzten Ereignisse, welche er erlebt zu haben glaubte, wieder vor seine Seele kamen, so kam auch das Fieber wieder und warf seine Gedanken untereinander. Doch allmählich verglomm die Glut, lichtete sich das Bewußtsein, die hellen Augenblicke wurden häufiger, länger, die Gedanken zusammenhängender, die Vergangenheit kam wieder ins Gedächtniß stückweise, aber umsonst mühte er sich, sie zusammenzuknüpfen mit der Gegenwart. Er fragte nach seinem Hengste, aber Niemand wußte etwas von ihm, nie ward wieder eine Spur von ihm gefunden; dann fragte er, wer ihn hergebracht, und mehr als hundert Mal mußte Agnes erzählen, wann, wo und wie sie ihn gefunden; aber wie er dahin gekommen, ward nie ergründet, nie begriffen. Die lange treue Pflege hatte

bemerkte sie. Kurt war in treuen Händen, in treueren, als er es verdiente. Frau Agnes werweisete nicht, was ihre Pflicht sei und was nicht, was sie ihm noch schuldig sei und wie wohl es ihr eigentlich ginge, wenn das Fieber Meister würde. Frau Agnes that, was sie glaubte, daß gut sei, und was ihr möglich war; aber lange wollte der Tod nicht von der ergriffenen Beute lassen, setzte von Neuem an, trieb Kurt in Fieberhitze und Angst herum, ärger noch als im Utzenstorfer Walde, daß Frau Agnes oft Hülfe nöthig hatte, den unbändigen Kranken festzuhalten auf seinem Lager. Allmählich wich der böse Geist, aber langsam, zum Bewußtsein erwachte Kurt wieder, aber unendlich schwach war er, und wenn die letzten Ereignisse, welche er erlebt zu haben glaubte, wieder vor seine Seele kamen, so kam auch das Fieber wieder und warf seine Gedanken untereinander. Doch allmählich verglomm die Glut, lichtete sich das Bewußtsein, die hellen Augenblicke wurden häufiger, länger, die Gedanken zusammenhängender, die Vergangenheit kam wieder ins Gedächtniß stückweise, aber umsonst mühte er sich, sie zusammenzuknüpfen mit der Gegenwart. Er fragte nach seinem Hengste, aber Niemand wußte etwas von ihm, nie ward wieder eine Spur von ihm gefunden; dann fragte er, wer ihn hergebracht, und mehr als hundert Mal mußte Agnes erzählen, wann, wo und wie sie ihn gefunden; aber wie er dahin gekommen, ward nie ergründet, nie begriffen. Die lange treue Pflege hatte

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/180>, abgerufen am 25.11.2024.