Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.soll ich mit ihnen? Der eine thut jede Viertelstunde einen Schritt, unterdessen giebt der andere einen Laut von sich, dann erholen sich beide und thun so wieder einen Schritt und geben wieder einen Laut, und so soll ich jagen künftig! Kurt zeigte offenbare Spuren oratorischen Talentes, nach dem alten Sprichwort: Es ist das Herz, welches beredt macht. -- Da jage mit den jungen! sagte der alte Herr. Mußt nicht meinen, man könne immer die gleichen Hunde brauchen! -- Ja, wenn ich junge hätte, sagte Kurt. -- Das war die Spitze der Armuth, welche dem Herrn von Denz wirklich nicht mehr lächerlich vorkam, sondern ins Herz ging, denn das hätte er nicht gedacht, daß es ein Schlößchen in der Welt gebe, in welchem bloß zwei Hunde seien, beide mit haarlosen Schwänzen, von denen der eine in einer Viertelstunde einen Schritt thue, während der andere die gleiche Zeit brauche, einen Laut von sich zu lassen. Diese Armuth trieb ihn zum Aufbruch früher als er vielleicht sonst daran gedacht, denn ein solcher Mangel war unerträglich, dem mußte abgeholfen werden alsbald. Der Tochter war es doch schwer ums Herz, als der Vater Abschied nahm und fortritt und sie allein blieb im öden Haus und mit der bösen Schwieger. Indessen an sentimentale Betrachtungen war Agnes nicht gewöhnt, sondern hatte im innersten Kerne ihres Wesens eine bedeutende Kraft, welche sich in das Nothwendige ergießt, die Sachen nimmt, wie sie sind, soll ich mit ihnen? Der eine thut jede Viertelstunde einen Schritt, unterdessen giebt der andere einen Laut von sich, dann erholen sich beide und thun so wieder einen Schritt und geben wieder einen Laut, und so soll ich jagen künftig! Kurt zeigte offenbare Spuren oratorischen Talentes, nach dem alten Sprichwort: Es ist das Herz, welches beredt macht. — Da jage mit den jungen! sagte der alte Herr. Mußt nicht meinen, man könne immer die gleichen Hunde brauchen! — Ja, wenn ich junge hätte, sagte Kurt. — Das war die Spitze der Armuth, welche dem Herrn von Denz wirklich nicht mehr lächerlich vorkam, sondern ins Herz ging, denn das hätte er nicht gedacht, daß es ein Schlößchen in der Welt gebe, in welchem bloß zwei Hunde seien, beide mit haarlosen Schwänzen, von denen der eine in einer Viertelstunde einen Schritt thue, während der andere die gleiche Zeit brauche, einen Laut von sich zu lassen. Diese Armuth trieb ihn zum Aufbruch früher als er vielleicht sonst daran gedacht, denn ein solcher Mangel war unerträglich, dem mußte abgeholfen werden alsbald. Der Tochter war es doch schwer ums Herz, als der Vater Abschied nahm und fortritt und sie allein blieb im öden Haus und mit der bösen Schwieger. Indessen an sentimentale Betrachtungen war Agnes nicht gewöhnt, sondern hatte im innersten Kerne ihres Wesens eine bedeutende Kraft, welche sich in das Nothwendige ergießt, die Sachen nimmt, wie sie sind, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0111"/> soll ich mit ihnen? Der eine thut jede Viertelstunde einen Schritt, unterdessen giebt der andere einen Laut von sich, dann erholen sich beide und thun so wieder einen Schritt und geben wieder einen Laut, und so soll ich jagen künftig! Kurt zeigte offenbare Spuren oratorischen Talentes, nach dem alten Sprichwort: Es ist das Herz, welches beredt macht. — Da jage mit den jungen! sagte der alte Herr. Mußt nicht meinen, man könne immer die gleichen Hunde brauchen! — Ja, wenn ich junge hätte, sagte Kurt. — Das war die Spitze der Armuth, welche dem Herrn von Denz wirklich nicht mehr lächerlich vorkam, sondern ins Herz ging, denn das hätte er nicht gedacht, daß es ein Schlößchen in der Welt gebe, in welchem bloß zwei Hunde seien, beide mit haarlosen Schwänzen, von denen der eine in einer Viertelstunde einen Schritt thue, während der andere die gleiche Zeit brauche, einen Laut von sich zu lassen. Diese Armuth trieb ihn zum Aufbruch früher als er vielleicht sonst daran gedacht, denn ein solcher Mangel war unerträglich, dem mußte abgeholfen werden alsbald.</p><lb/> <p>Der Tochter war es doch schwer ums Herz, als der Vater Abschied nahm und fortritt und sie allein blieb im öden Haus und mit der bösen Schwieger. Indessen an sentimentale Betrachtungen war Agnes nicht gewöhnt, sondern hatte im innersten Kerne ihres Wesens eine bedeutende Kraft, welche sich in das Nothwendige ergießt, die Sachen nimmt, wie sie sind,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
soll ich mit ihnen? Der eine thut jede Viertelstunde einen Schritt, unterdessen giebt der andere einen Laut von sich, dann erholen sich beide und thun so wieder einen Schritt und geben wieder einen Laut, und so soll ich jagen künftig! Kurt zeigte offenbare Spuren oratorischen Talentes, nach dem alten Sprichwort: Es ist das Herz, welches beredt macht. — Da jage mit den jungen! sagte der alte Herr. Mußt nicht meinen, man könne immer die gleichen Hunde brauchen! — Ja, wenn ich junge hätte, sagte Kurt. — Das war die Spitze der Armuth, welche dem Herrn von Denz wirklich nicht mehr lächerlich vorkam, sondern ins Herz ging, denn das hätte er nicht gedacht, daß es ein Schlößchen in der Welt gebe, in welchem bloß zwei Hunde seien, beide mit haarlosen Schwänzen, von denen der eine in einer Viertelstunde einen Schritt thue, während der andere die gleiche Zeit brauche, einen Laut von sich zu lassen. Diese Armuth trieb ihn zum Aufbruch früher als er vielleicht sonst daran gedacht, denn ein solcher Mangel war unerträglich, dem mußte abgeholfen werden alsbald.
Der Tochter war es doch schwer ums Herz, als der Vater Abschied nahm und fortritt und sie allein blieb im öden Haus und mit der bösen Schwieger. Indessen an sentimentale Betrachtungen war Agnes nicht gewöhnt, sondern hatte im innersten Kerne ihres Wesens eine bedeutende Kraft, welche sich in das Nothwendige ergießt, die Sachen nimmt, wie sie sind,
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/111>, abgerufen am 16.02.2025. |