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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und mit Sicherheit wieder etwas Vierbeiniges in den Ställen untergebracht werden sollte. Indessen tröstete er sich darüber leicht; dem Allem sei abzuhelfen, dachte er Kurt hatte den schwersten Augenblick überstanden, es war leichter gegangen, als er sich gedacht; doch belästigte noch Etwas sein Gemüth, und zwar sehr. Wer etwa meint, es seien die Schauer, welche über Agnes' Seele fuhren, die er gesehen und mitempfinde, der würde sich sehr irren, die sah Kurt nicht. Kurt hatte ein herrliches Auge: den Aal sah er im Schlamm, das Rebhuhn im Grase, die Schnepfe im dürren Laub, das Wildschwein im Dickicht, aber in den Herzen der Menschen sah er hell nichts, und so wenig als er lesen konnte in einem Buche, eben so wenig konnte er die Gedanken der Menschen lesen, welche über die Gesichter der Menschen flogen, noch viel weniger die, welche bloß vorsichtig aus den Augen gucken, oder tückisch lauern in den Winkeln des Mundes; da war allenthalben unleserliche Schrift für ihn, und wenn man ihm Brillen aufgesetzt hätte, er hätte nichts gesehen. Es giebt halt gar verschiedene Augen, aber wirklich commod ist's, wenn man deren hat, welche sehen, was auf den Gesichtern vorgeht und im Grase, und was sitzt in des Herzens Grund und in des Teiches Schlamm; sie sind aber leider nicht zu kaufen, diese Augen, sie sind eine Gottesgabe.

Neben Kurt zu beiden Seiten saßen die alten treuen Hunde, die Gespielen seiner Jugend, freuten sich

und mit Sicherheit wieder etwas Vierbeiniges in den Ställen untergebracht werden sollte. Indessen tröstete er sich darüber leicht; dem Allem sei abzuhelfen, dachte er Kurt hatte den schwersten Augenblick überstanden, es war leichter gegangen, als er sich gedacht; doch belästigte noch Etwas sein Gemüth, und zwar sehr. Wer etwa meint, es seien die Schauer, welche über Agnes' Seele fuhren, die er gesehen und mitempfinde, der würde sich sehr irren, die sah Kurt nicht. Kurt hatte ein herrliches Auge: den Aal sah er im Schlamm, das Rebhuhn im Grase, die Schnepfe im dürren Laub, das Wildschwein im Dickicht, aber in den Herzen der Menschen sah er hell nichts, und so wenig als er lesen konnte in einem Buche, eben so wenig konnte er die Gedanken der Menschen lesen, welche über die Gesichter der Menschen flogen, noch viel weniger die, welche bloß vorsichtig aus den Augen gucken, oder tückisch lauern in den Winkeln des Mundes; da war allenthalben unleserliche Schrift für ihn, und wenn man ihm Brillen aufgesetzt hätte, er hätte nichts gesehen. Es giebt halt gar verschiedene Augen, aber wirklich commod ist's, wenn man deren hat, welche sehen, was auf den Gesichtern vorgeht und im Grase, und was sitzt in des Herzens Grund und in des Teiches Schlamm; sie sind aber leider nicht zu kaufen, diese Augen, sie sind eine Gottesgabe.

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[0109] und mit Sicherheit wieder etwas Vierbeiniges in den Ställen untergebracht werden sollte. Indessen tröstete er sich darüber leicht; dem Allem sei abzuhelfen, dachte er Kurt hatte den schwersten Augenblick überstanden, es war leichter gegangen, als er sich gedacht; doch belästigte noch Etwas sein Gemüth, und zwar sehr. Wer etwa meint, es seien die Schauer, welche über Agnes' Seele fuhren, die er gesehen und mitempfinde, der würde sich sehr irren, die sah Kurt nicht. Kurt hatte ein herrliches Auge: den Aal sah er im Schlamm, das Rebhuhn im Grase, die Schnepfe im dürren Laub, das Wildschwein im Dickicht, aber in den Herzen der Menschen sah er hell nichts, und so wenig als er lesen konnte in einem Buche, eben so wenig konnte er die Gedanken der Menschen lesen, welche über die Gesichter der Menschen flogen, noch viel weniger die, welche bloß vorsichtig aus den Augen gucken, oder tückisch lauern in den Winkeln des Mundes; da war allenthalben unleserliche Schrift für ihn, und wenn man ihm Brillen aufgesetzt hätte, er hätte nichts gesehen. Es giebt halt gar verschiedene Augen, aber wirklich commod ist's, wenn man deren hat, welche sehen, was auf den Gesichtern vorgeht und im Grase, und was sitzt in des Herzens Grund und in des Teiches Schlamm; sie sind aber leider nicht zu kaufen, diese Augen, sie sind eine Gottesgabe. Neben Kurt zu beiden Seiten saßen die alten treuen Hunde, die Gespielen seiner Jugend, freuten sich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/109>, abgerufen am 05.05.2024.