Goldammer, Leo: Auf Wiedersehen! In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 157–185. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein Pfiff, ein gellender, langanhaltender Pfiff, und ein dumpfes, schnell wachsendes Rollen ertönte jetzt aus der Ferne. -- Der Alte erschrak und verstummte. -- Zwei Augen wie Feuer blitzten auf in der Tiefe. -- In den Mienen des Jüngeren zuckt's wie ein elektrischer Funke: er wirft seine Arme dem Alten an den Kopf, mit einem Ruck zieht er ihm den Hut übers Gesicht, mit einem zweiten Ruck hebt er ihn über das Gitter -- ein Stoß -- ein Fall -- zischend und prustend und donnernd schießt der Dampfdrache heran -- taptap, taptap. -- Der Zug ist vorüber und fährt langsamer über den Fluß in die Hauptstadt hinein. -- -- Er hat sich das Leben genommen, wenn -- wenn mich -- wenn mich jetzt Niemand gesehen. -- -- Dies sagt sich der Mann auf dem Hügel, und es ist ihm wie leichter ums Herz. -- -- Da fühlt er sich plötzlich auf die Schulter geklopft -- er greift aufs Gitter vor sich -- das Klopfen wiederholt sich -- er sieht sich nicht um -- es klopft zum Dritten -- da dreht er den Kopf nach der Seite -- der Alte, den er so eben in die Tiefe gestürzt, steht hinter ihm. -- Entsetzen faßt ihn. -- Doch nein, der Alte ist es nicht; aber wer? ein Häscher muß es sein. -- Jetzt wird er gelenkig, er läuft den Hügel hinunter, eine Jagd hebt an -- und am nächsten Morgen ging das Gerücht mit zwei Selbstmorden in die Stadt: einen Leichnam hatten die Bahnwärter gefunden, den andern die Fischer im Fluß. Ein Pfiff, ein gellender, langanhaltender Pfiff, und ein dumpfes, schnell wachsendes Rollen ertönte jetzt aus der Ferne. — Der Alte erschrak und verstummte. — Zwei Augen wie Feuer blitzten auf in der Tiefe. — In den Mienen des Jüngeren zuckt's wie ein elektrischer Funke: er wirft seine Arme dem Alten an den Kopf, mit einem Ruck zieht er ihm den Hut übers Gesicht, mit einem zweiten Ruck hebt er ihn über das Gitter — ein Stoß — ein Fall — zischend und prustend und donnernd schießt der Dampfdrache heran — taptap, taptap. — Der Zug ist vorüber und fährt langsamer über den Fluß in die Hauptstadt hinein. — — Er hat sich das Leben genommen, wenn — wenn mich — wenn mich jetzt Niemand gesehen. — — Dies sagt sich der Mann auf dem Hügel, und es ist ihm wie leichter ums Herz. — — Da fühlt er sich plötzlich auf die Schulter geklopft — er greift aufs Gitter vor sich — das Klopfen wiederholt sich — er sieht sich nicht um — es klopft zum Dritten — da dreht er den Kopf nach der Seite — der Alte, den er so eben in die Tiefe gestürzt, steht hinter ihm. — Entsetzen faßt ihn. — Doch nein, der Alte ist es nicht; aber wer? ein Häscher muß es sein. — Jetzt wird er gelenkig, er läuft den Hügel hinunter, eine Jagd hebt an — und am nächsten Morgen ging das Gerücht mit zwei Selbstmorden in die Stadt: einen Leichnam hatten die Bahnwärter gefunden, den andern die Fischer im Fluß. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0031"/> <p>Ein Pfiff, ein gellender, langanhaltender Pfiff, und ein dumpfes, schnell wachsendes Rollen ertönte jetzt aus der Ferne. — Der Alte erschrak und verstummte. — Zwei Augen wie Feuer blitzten auf in der Tiefe. — In den Mienen des Jüngeren zuckt's wie ein elektrischer Funke: er wirft seine Arme dem Alten an den Kopf, mit einem Ruck zieht er ihm den Hut übers Gesicht, mit einem zweiten Ruck hebt er ihn über das Gitter — ein Stoß — ein Fall — zischend und prustend und donnernd schießt der Dampfdrache heran — taptap, taptap. — Der Zug ist vorüber und fährt langsamer über den Fluß in die Hauptstadt hinein. — —</p><lb/> <p>Er hat sich das Leben genommen, wenn — wenn mich — wenn mich jetzt Niemand gesehen. — —</p><lb/> <p>Dies sagt sich der Mann auf dem Hügel, und es ist ihm wie leichter ums Herz. — —</p><lb/> <p>Da fühlt er sich plötzlich auf die Schulter geklopft — er greift aufs Gitter vor sich — das Klopfen wiederholt sich — er sieht sich nicht um — es klopft zum Dritten — da dreht er den Kopf nach der Seite — der Alte, den er so eben in die Tiefe gestürzt, steht hinter ihm. — Entsetzen faßt ihn. — Doch nein, der Alte ist es nicht; aber wer? ein Häscher muß es sein. — Jetzt wird er gelenkig, er läuft den Hügel hinunter, eine Jagd hebt an — und am nächsten Morgen ging das Gerücht mit zwei Selbstmorden in die Stadt: einen Leichnam hatten die Bahnwärter gefunden, den andern die Fischer im Fluß.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
Ein Pfiff, ein gellender, langanhaltender Pfiff, und ein dumpfes, schnell wachsendes Rollen ertönte jetzt aus der Ferne. — Der Alte erschrak und verstummte. — Zwei Augen wie Feuer blitzten auf in der Tiefe. — In den Mienen des Jüngeren zuckt's wie ein elektrischer Funke: er wirft seine Arme dem Alten an den Kopf, mit einem Ruck zieht er ihm den Hut übers Gesicht, mit einem zweiten Ruck hebt er ihn über das Gitter — ein Stoß — ein Fall — zischend und prustend und donnernd schießt der Dampfdrache heran — taptap, taptap. — Der Zug ist vorüber und fährt langsamer über den Fluß in die Hauptstadt hinein. — —
Er hat sich das Leben genommen, wenn — wenn mich — wenn mich jetzt Niemand gesehen. — —
Dies sagt sich der Mann auf dem Hügel, und es ist ihm wie leichter ums Herz. — —
Da fühlt er sich plötzlich auf die Schulter geklopft — er greift aufs Gitter vor sich — das Klopfen wiederholt sich — er sieht sich nicht um — es klopft zum Dritten — da dreht er den Kopf nach der Seite — der Alte, den er so eben in die Tiefe gestürzt, steht hinter ihm. — Entsetzen faßt ihn. — Doch nein, der Alte ist es nicht; aber wer? ein Häscher muß es sein. — Jetzt wird er gelenkig, er läuft den Hügel hinunter, eine Jagd hebt an — und am nächsten Morgen ging das Gerücht mit zwei Selbstmorden in die Stadt: einen Leichnam hatten die Bahnwärter gefunden, den andern die Fischer im Fluß.
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Zitationshilfe: | Goldammer, Leo: Auf Wiedersehen! In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 157–185. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goldammer_wiedersehen_1910/31>, abgerufen am 16.07.2024. |