korn im Schuhe haben, oder sich ein bischen mit der Nadel reißen, aus der Haut fahren wollen.
So hatte sich Albertine gewöhnt. Ueber alles, was ihr begegnete, war sie empfind- lich. Bald war es zu warm, bald zu kalt: bald zu windicht, bald zu naß, bald zu stau- bicht. An ihren Körper durfte kein Lüftchen wehen, so meynte sie schon, sie wäre erstickt. Bey Tische, wenn die Suppe gegessen wur- de, wobey alle andere Kinder ruhig waren, stellte sie sich an, wenn sie den ersten Löffel nahm, als ob sie sich aufs äußerste verbrannt hätte, sperrte das Maul weit auf, und wur- de von den andern immer brav ausgelacht. Kams nun einmal, daß sie sich in eine Na- del riß, oder gestoßen, oder einen kleinen Fall gethan hatte; oder daß sie wohl gar krank wurde; so hätte man das Unglück sehen sol- len. Ihre Aeltern hatten manchen Verdruß
und
korn im Schuhe haben, oder ſich ein bischen mit der Nadel reißen, aus der Haut fahren wollen.
So hatte ſich Albertine gewoͤhnt. Ueber alles, was ihr begegnete, war ſie empfind- lich. Bald war es zu warm, bald zu kalt: bald zu windicht, bald zu naß, bald zu ſtau- bicht. An ihren Koͤrper durfte kein Luͤftchen wehen, ſo meynte ſie ſchon, ſie waͤre erſtickt. Bey Tiſche, wenn die Suppe gegeſſen wur- de, wobey alle andere Kinder ruhig waren, ſtellte ſie ſich an, wenn ſie den erſten Loͤffel nahm, als ob ſie ſich aufs aͤußerſte verbrannt haͤtte, ſperrte das Maul weit auf, und wur- de von den andern immer brav ausgelacht. Kams nun einmal, daß ſie ſich in eine Na- del riß, oder geſtoßen, oder einen kleinen Fall gethan hatte; oder daß ſie wohl gar krank wurde; ſo haͤtte man das Ungluͤck ſehen ſol- len. Ihre Aeltern hatten manchen Verdruß
und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="63"/>
korn im Schuhe haben, oder ſich ein bischen<lb/>
mit der Nadel reißen, aus der Haut fahren<lb/>
wollen.</p><lb/><p>So hatte ſich Albertine gewoͤhnt. Ueber<lb/>
alles, was ihr begegnete, war ſie empfind-<lb/>
lich. Bald war es zu warm, bald zu kalt:<lb/>
bald zu windicht, bald zu naß, bald zu ſtau-<lb/>
bicht. An ihren Koͤrper durfte kein Luͤftchen<lb/>
wehen, ſo meynte ſie ſchon, ſie waͤre erſtickt.<lb/>
Bey Tiſche, wenn die Suppe gegeſſen wur-<lb/>
de, wobey alle andere Kinder ruhig waren,<lb/>ſtellte ſie ſich an, wenn ſie den erſten Loͤffel<lb/>
nahm, als ob ſie ſich aufs aͤußerſte verbrannt<lb/>
haͤtte, ſperrte das Maul weit auf, und wur-<lb/>
de von den andern immer brav ausgelacht.<lb/>
Kams nun einmal, daß ſie ſich in eine Na-<lb/>
del riß, oder geſtoßen, oder einen kleinen Fall<lb/>
gethan hatte; oder daß ſie wohl gar krank<lb/>
wurde; ſo haͤtte man das Ungluͤck ſehen ſol-<lb/>
len. Ihre Aeltern hatten manchen Verdruß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0085]
korn im Schuhe haben, oder ſich ein bischen
mit der Nadel reißen, aus der Haut fahren
wollen.
So hatte ſich Albertine gewoͤhnt. Ueber
alles, was ihr begegnete, war ſie empfind-
lich. Bald war es zu warm, bald zu kalt:
bald zu windicht, bald zu naß, bald zu ſtau-
bicht. An ihren Koͤrper durfte kein Luͤftchen
wehen, ſo meynte ſie ſchon, ſie waͤre erſtickt.
Bey Tiſche, wenn die Suppe gegeſſen wur-
de, wobey alle andere Kinder ruhig waren,
ſtellte ſie ſich an, wenn ſie den erſten Loͤffel
nahm, als ob ſie ſich aufs aͤußerſte verbrannt
haͤtte, ſperrte das Maul weit auf, und wur-
de von den andern immer brav ausgelacht.
Kams nun einmal, daß ſie ſich in eine Na-
del riß, oder geſtoßen, oder einen kleinen Fall
gethan hatte; oder daß ſie wohl gar krank
wurde; ſo haͤtte man das Ungluͤck ſehen ſol-
len. Ihre Aeltern hatten manchen Verdruß
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/85>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.