Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.umsaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Ge- bürge her, im Gebrülle des Waldstroms, halb ver- wehtes Aechzen der Geister aus ihren Hölen, und die Wehklagen des zu Tode gejammerten Mädgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die Fustapfen seiner Väter sucht und ach! ihre Grabsteine findet. Und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hin- blikt, der sich in's rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele le- bendig werden, da noch der freundliche Stral den Gefahren der Tapfern leuchtete, und der Mond ihr bekränztes, siegrükkehrendes Schiff beschien, Wenn ich so den tiefen Kummer auf seiner Stirne lese, so den lezten verlaßnen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken sehe, wie er im- mer neue schmerzlich glühende Freuden in der kraft- losen Gegenwart der Schatten seiner Abgeschiede- nen einsaugt, und nach der kalten Erde dem hohen wehen-
umſaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die Geiſter der Vaͤter im daͤmmernden Lichte des Mondes hinfuͤhrt. Zu hoͤren vom Ge- buͤrge her, im Gebruͤlle des Waldſtroms, halb ver- wehtes Aechzen der Geiſter aus ihren Hoͤlen, und die Wehklagen des zu Tode gejammerten Maͤdgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die Fustapfen ſeiner Vaͤter ſucht und ach! ihre Grabſteine findet. Und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hin- blikt, der ſich in’s rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele le- bendig werden, da noch der freundliche Stral den Gefahren der Tapfern leuchtete, und der Mond ihr bekraͤnztes, ſiegruͤkkehrendes Schiff beſchien, Wenn ich ſo den tiefen Kummer auf ſeiner Stirne leſe, ſo den lezten verlaßnen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken ſehe, wie er im- mer neue ſchmerzlich gluͤhende Freuden in der kraft- loſen Gegenwart der Schatten ſeiner Abgeſchiede- nen einſaugt, und nach der kalten Erde dem hohen wehen-
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umſaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden
Nebeln, die Geiſter der Vaͤter im daͤmmernden
Lichte des Mondes hinfuͤhrt. Zu hoͤren vom Ge-
buͤrge her, im Gebruͤlle des Waldſtroms, halb ver-
wehtes Aechzen der Geiſter aus ihren Hoͤlen, und
die Wehklagen des zu Tode gejammerten Maͤdgens,
um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine
des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn
denn finde, den wandelnden grauen Barden, der
auf der weiten Haide die Fustapfen ſeiner Vaͤter
ſucht und ach! ihre Grabſteine findet. Und dann
jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hin-
blikt, der ſich in’s rollende Meer verbirgt, und die
Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele le-
bendig werden, da noch der freundliche Stral den
Gefahren der Tapfern leuchtete, und der Mond
ihr bekraͤnztes, ſiegruͤkkehrendes Schiff beſchien,
Wenn ich ſo den tiefen Kummer auf ſeiner Stirne
leſe, ſo den lezten verlaßnen Herrlichen in aller
Ermattung dem Grabe zu wanken ſehe, wie er im-
mer neue ſchmerzlich gluͤhende Freuden in der kraft-
loſen Gegenwart der Schatten ſeiner Abgeſchiede-
nen einſaugt, und nach der kalten Erde dem hohen
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