Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.besten Herzen. Jch erklärte ihr meiner Mutter Beschwerden über den zurückgehaltenen Erbschafts- antheil. Sie sagte mir ihre Gründe, Ursachen und die Bedingungen, unter welchen sie bereit wäre alles heraus zu geben, und mehr als wir verlang- ten -- Kurz, ich mag jezo nichts davon schreiben, sag meiner Mutter, es werde alles gut gehen. Und ich habe, mein Lieber! wieder bey diesem klei- nen Geschäfte gefunden: daß Mißverständnisse und Trägheit vielleicht mehr Jrrungen in der Welt ma- chen, als List und Bosheit nicht thun. Wenig- stens sind die beyden leztern gewiß seltner. Uebrigens find ich mich hier gar wohl. Die Die Stadt ist selbst unangenehm, dagegen rings Das A 4
beſten Herzen. Jch erklaͤrte ihr meiner Mutter Beſchwerden uͤber den zuruͤckgehaltenen Erbſchafts- antheil. Sie ſagte mir ihre Gruͤnde, Urſachen und die Bedingungen, unter welchen ſie bereit waͤre alles heraus zu geben, und mehr als wir verlang- ten — Kurz, ich mag jezo nichts davon ſchreiben, ſag meiner Mutter, es werde alles gut gehen. Und ich habe, mein Lieber! wieder bey dieſem klei- nen Geſchaͤfte gefunden: daß Mißverſtaͤndniſſe und Traͤgheit vielleicht mehr Jrrungen in der Welt ma- chen, als Liſt und Bosheit nicht thun. Wenig- ſtens ſind die beyden leztern gewiß ſeltner. Uebrigens find ich mich hier gar wohl. Die Die Stadt iſt ſelbſt unangenehm, dagegen rings Das A 4
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beſten Herzen. Jch erklaͤrte ihr meiner Mutter
Beſchwerden uͤber den zuruͤckgehaltenen Erbſchafts-
antheil. Sie ſagte mir ihre Gruͤnde, Urſachen
und die Bedingungen, unter welchen ſie bereit waͤre
alles heraus zu geben, und mehr als wir verlang-
ten — Kurz, ich mag jezo nichts davon ſchreiben,
ſag meiner Mutter, es werde alles gut gehen.
Und ich habe, mein Lieber! wieder bey dieſem klei-
nen Geſchaͤfte gefunden: daß Mißverſtaͤndniſſe und
Traͤgheit vielleicht mehr Jrrungen in der Welt ma-
chen, als Liſt und Bosheit nicht thun. Wenig-
ſtens ſind die beyden leztern gewiß ſeltner.
Uebrigens find ich mich hier gar wohl. Die
Einſamkeit iſt meinem Herzen koͤſtlicher Balſam in
dieſer paradiſiſchen Gegend, und dieſe Jahrszeit
der Jugend waͤrmt mit aller Fuͤlle mein oft ſchau-
derndes Herz. Jeder Baum, jede Hecke iſt ein
Straus von Bluͤten, und man moͤchte zur Mayen-
kaͤfer werden, um in dem Meer von Wohlgeruͤchen
herumſchweben, und alle ſeine Nahrung darinne
finden zu koͤnnen.
Die Stadt iſt ſelbſt unangenehm, dagegen rings
umher eine unausſprechliche Schoͤnheit der Natur.
Das
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