Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.wenn ich mich jemals unterstehe, diesen Himmel, dieses Vertrauen -- Du verstehst mich. Nein, mein Herz ist so verderbt nicht! Schwach! schwach genug! Und ist das nicht Verderben? Sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ih- Kein Wort von der Zauberkraft der alten am E 2
wenn ich mich jemals unterſtehe, dieſen Himmel, dieſes Vertrauen — Du verſtehſt mich. Nein, mein Herz iſt ſo verderbt nicht! Schwach! ſchwach genug! Und iſt das nicht Verderben? Sie iſt mir heilig. Alle Begier ſchweigt in ih- Kein Wort von der Zauberkraft der alten am E 2
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wenn ich mich jemals unterſtehe, dieſen Himmel,
dieſes Vertrauen — Du verſtehſt mich. Nein,
mein Herz iſt ſo verderbt nicht! Schwach! ſchwach
genug! Und iſt das nicht Verderben?
Sie iſt mir heilig. Alle Begier ſchweigt in ih-
rer Gegenwart. Jch weis nimmer wie mir iſt,
wenn ich bey ihr bin, es iſt als wenn die Seele
ſich mir in allen Nerven umkehrte. Sie hat eine
Melodie, die ſie auf dem Clavier ſpielt mit der
Kraft eines Engels, ſo ſimpel und ſo geiſtvoll, es
iſt ihr Leiblied, und mich ſtellt es von aller Pein,
Verwirrung und Grillen her, wenn ſie nur die er-
ſte Note davon greift.
Kein Wort von der Zauberkraft der alten
Muſik iſt mir unwahrſcheinlich, wie mich
der einfache Geſang angreift. Und wie ſie
ihn anzubringen weis, oft zur Zeit, wo ich mir
eine Kugel vor’n Kopf ſchieſſen moͤchte. Und all
die Jrrung und Finſterniß meiner Seele zerſtreut
ſich, und ich athme wieder freyer.
am
E 2
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/67>, abgerufen am 16.02.2025. |