Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht wäre, als wenn sie sich empfände und
nicht empfände, als wenn dieß alles vor
ihr, sie vor sich selbst verschwinden sollte,
und nur als die Sonne das bisher sehr leb¬
haft beschienene Fenster verließ, erwachte
Ottilie vor sich selbst und eilte nach dem
Schlosse.

Sie verbarg sich nicht in welche sonder¬
bare Epoche diese Ueberraschung gefallen sey.
Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.
Diesen hatte sie freylich ganz anders zu feyern
gehofft: wie sollte nicht alles zu diesem Feste
geschmückt seyn? Aber nunmehr stand der
ganze herbstliche Blumenreichthum ungepflückt.
Diese Sonnenblumen wendeten noch immer ihr
Angesicht gen Himmel; diese Astern sahen
noch immer still bescheiden vor sich hin, und
was allenfalls davon zu Kränzen gebunden
war, hatte zum Muster gedient einen Ort
auszuschmücken, der wenn er nicht blos eine
Künstler-Grille bleiben, wenn er zu irgend et¬

nicht waͤre, als wenn ſie ſich empfaͤnde und
nicht empfaͤnde, als wenn dieß alles vor
ihr, ſie vor ſich ſelbſt verſchwinden ſollte,
und nur als die Sonne das bisher ſehr leb¬
haft beſchienene Fenſter verließ, erwachte
Ottilie vor ſich ſelbſt und eilte nach dem
Schloſſe.

Sie verbarg ſich nicht in welche ſonder¬
bare Epoche dieſe Ueberraſchung gefallen ſey.
Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.
Dieſen hatte ſie freylich ganz anders zu feyern
gehofft: wie ſollte nicht alles zu dieſem Feſte
geſchmuͤckt ſeyn? Aber nunmehr ſtand der
ganze herbſtliche Blumenreichthum ungepfluͤckt.
Dieſe Sonnenblumen wendeten noch immer ihr
Angeſicht gen Himmel; dieſe Aſtern ſahen
noch immer ſtill beſcheiden vor ſich hin, und
was allenfalls davon zu Kraͤnzen gebunden
war, hatte zum Muſter gedient einen Ort
auszuſchmuͤcken, der wenn er nicht blos eine
Kuͤnſtler-Grille bleiben, wenn er zu irgend et¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="40"/>
nicht wa&#x0364;re, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich empfa&#x0364;nde und<lb/>
nicht empfa&#x0364;nde, als wenn dieß alles vor<lb/>
ihr, &#x017F;ie vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chwinden &#x017F;ollte,<lb/>
und nur als die Sonne das bisher &#x017F;ehr leb¬<lb/>
haft be&#x017F;chienene Fen&#x017F;ter verließ, erwachte<lb/>
Ottilie vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und eilte nach dem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Sie verbarg &#x017F;ich nicht in welche &#x017F;onder¬<lb/>
bare Epoche die&#x017F;e Ueberra&#x017F;chung gefallen &#x017F;ey.<lb/>
Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.<lb/>
Die&#x017F;en hatte &#x017F;ie freylich ganz anders zu feyern<lb/>
gehofft: wie &#x017F;ollte nicht alles zu die&#x017F;em Fe&#x017F;te<lb/>
ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt &#x017F;eyn? Aber nunmehr &#x017F;tand der<lb/>
ganze herb&#x017F;tliche Blumenreichthum ungepflu&#x0364;ckt.<lb/>
Die&#x017F;e Sonnenblumen wendeten noch immer ihr<lb/>
Ange&#x017F;icht gen Himmel; die&#x017F;e A&#x017F;tern &#x017F;ahen<lb/>
noch immer &#x017F;till be&#x017F;cheiden vor &#x017F;ich hin, und<lb/>
was allenfalls davon zu Kra&#x0364;nzen gebunden<lb/>
war, hatte zum Mu&#x017F;ter gedient einen Ort<lb/>
auszu&#x017F;chmu&#x0364;cken, der wenn er nicht blos eine<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler-Grille bleiben, wenn er zu irgend et¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0043] nicht waͤre, als wenn ſie ſich empfaͤnde und nicht empfaͤnde, als wenn dieß alles vor ihr, ſie vor ſich ſelbſt verſchwinden ſollte, und nur als die Sonne das bisher ſehr leb¬ haft beſchienene Fenſter verließ, erwachte Ottilie vor ſich ſelbſt und eilte nach dem Schloſſe. Sie verbarg ſich nicht in welche ſonder¬ bare Epoche dieſe Ueberraſchung gefallen ſey. Es war der Abend vor Eduards Geburtstage. Dieſen hatte ſie freylich ganz anders zu feyern gehofft: wie ſollte nicht alles zu dieſem Feſte geſchmuͤckt ſeyn? Aber nunmehr ſtand der ganze herbſtliche Blumenreichthum ungepfluͤckt. Dieſe Sonnenblumen wendeten noch immer ihr Angeſicht gen Himmel; dieſe Aſtern ſahen noch immer ſtill beſcheiden vor ſich hin, und was allenfalls davon zu Kraͤnzen gebunden war, hatte zum Muſter gedient einen Ort auszuſchmuͤcken, der wenn er nicht blos eine Kuͤnſtler-Grille bleiben, wenn er zu irgend et¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/43
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/43>, abgerufen am 19.04.2024.