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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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meine abhängige Lage und wie mißlich es um
mich stehen könne, wenn nicht ein besondrer
Glücksstern über mich walte. Ich faßte al¬
les wohl und genau, vielleicht zu streng, was
du für mich zu wünschen, was du von mir
zu fordern schienst. Ich machte mir nach
meinen beschränkten Einsichten hierüber Ge¬
setze; nach diesen habe ich lange gelebt, nach
ihnen war mein Thun und Lassen eingerich¬
tet, zu der Zeit da du mich liebtest, für
mich sorgtest, da du mich in dein Haus auf¬
nahmest, und auch noch eine Zeit hernach.

Aber ich bin aus meiner Bahn geschrit¬
ten, ich habe meine Gesetze gebrochen, ich
habe sogar das Gefühl derselben verloren,
und nach einem schrecklichen Ereigniß klärst
du mich wieder über meinen Zustand auf, der
jammervoller ist als der erste. Auf deinem
Schooße ruhend, halb erstarrt, wie aus einer
fremden Welt vernehm' ich abermals deine
leise Stimme über meinem Ohr; ich verneh¬

meine abhaͤngige Lage und wie mißlich es um
mich ſtehen koͤnne, wenn nicht ein beſondrer
Gluͤcksſtern uͤber mich walte. Ich faßte al¬
les wohl und genau, vielleicht zu ſtreng, was
du fuͤr mich zu wuͤnſchen, was du von mir
zu fordern ſchienſt. Ich machte mir nach
meinen beſchraͤnkten Einſichten hieruͤber Ge¬
ſetze; nach dieſen habe ich lange gelebt, nach
ihnen war mein Thun und Laſſen eingerich¬
tet, zu der Zeit da du mich liebteſt, fuͤr
mich ſorgteſt, da du mich in dein Haus auf¬
nahmeſt, und auch noch eine Zeit hernach.

Aber ich bin aus meiner Bahn geſchrit¬
ten, ich habe meine Geſetze gebrochen, ich
habe ſogar das Gefuͤhl derſelben verloren,
und nach einem ſchrecklichen Ereigniß klaͤrſt
du mich wieder uͤber meinen Zuſtand auf, der
jammervoller iſt als der erſte. Auf deinem
Schooße ruhend, halb erſtarrt, wie aus einer
fremden Welt vernehm' ich abermals deine
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[268/0271] meine abhaͤngige Lage und wie mißlich es um mich ſtehen koͤnne, wenn nicht ein beſondrer Gluͤcksſtern uͤber mich walte. Ich faßte al¬ les wohl und genau, vielleicht zu ſtreng, was du fuͤr mich zu wuͤnſchen, was du von mir zu fordern ſchienſt. Ich machte mir nach meinen beſchraͤnkten Einſichten hieruͤber Ge¬ ſetze; nach dieſen habe ich lange gelebt, nach ihnen war mein Thun und Laſſen eingerich¬ tet, zu der Zeit da du mich liebteſt, fuͤr mich ſorgteſt, da du mich in dein Haus auf¬ nahmeſt, und auch noch eine Zeit hernach. Aber ich bin aus meiner Bahn geſchrit¬ ten, ich habe meine Geſetze gebrochen, ich habe ſogar das Gefuͤhl derſelben verloren, und nach einem ſchrecklichen Ereigniß klaͤrſt du mich wieder uͤber meinen Zuſtand auf, der jammervoller iſt als der erſte. Auf deinem Schooße ruhend, halb erſtarrt, wie aus einer fremden Welt vernehm' ich abermals deine leiſe Stimme uͤber meinem Ohr; ich verneh¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/271>, abgerufen am 27.11.2024.