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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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mag. Alle diese Dinge richteten die Einbil¬
dungskraft gegen die ältere Zeit hin, und da
er zuletzt mit den Anfängen des Drucks,
Holzschnitten und den ältesten Kupfern seine
Unterhaltung zierte, und die Kirche täglich
auch, jenem Sinne gemäß, an Farbe und
sonstiger Auszierung gleichsam der Vergangen¬
heit entgegenwuchs; so mußte man sich bey¬
nahe selbst fragen: ob man denn wirklich in
der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein Traum
sey, daß man nunmehr in ganz andern Sit¬
ten, Gewohnheiten, Lebensweisen und Ueber¬
zeugungen verweile.

Auf solche Art vorbereitet that ein größe¬
res Portefeuille, das er zuletzt herbeybrachte,
die beste Wirkung. Es enthielt zwar meist
nur umrißne Figuren, die aber, weil sie auf
die Bilder selbst durchgezeichnet waren, ihren
alterthümlichen Character vollkommen erhalten
hatten, und diesen, wie einnehmend fanden
ihn die Beschauenden! Aus allen Gestalten

mag. Alle dieſe Dinge richteten die Einbil¬
dungskraft gegen die aͤltere Zeit hin, und da
er zuletzt mit den Anfaͤngen des Drucks,
Holzſchnitten und den aͤlteſten Kupfern ſeine
Unterhaltung zierte, und die Kirche taͤglich
auch, jenem Sinne gemaͤß, an Farbe und
ſonſtiger Auszierung gleichſam der Vergangen¬
heit entgegenwuchs; ſo mußte man ſich bey¬
nahe ſelbſt fragen: ob man denn wirklich in
der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein Traum
ſey, daß man nunmehr in ganz andern Sit¬
ten, Gewohnheiten, Lebensweiſen und Ueber¬
zeugungen verweile.

Auf ſolche Art vorbereitet that ein groͤße¬
res Portefeuille, das er zuletzt herbeybrachte,
die beſte Wirkung. Es enthielt zwar meiſt
nur umrißne Figuren, die aber, weil ſie auf
die Bilder ſelbſt durchgezeichnet waren, ihren
alterthuͤmlichen Character vollkommen erhalten
hatten, und dieſen, wie einnehmend fanden
ihn die Beſchauenden! Aus allen Geſtalten

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[23/0026] mag. Alle dieſe Dinge richteten die Einbil¬ dungskraft gegen die aͤltere Zeit hin, und da er zuletzt mit den Anfaͤngen des Drucks, Holzſchnitten und den aͤlteſten Kupfern ſeine Unterhaltung zierte, und die Kirche taͤglich auch, jenem Sinne gemaͤß, an Farbe und ſonſtiger Auszierung gleichſam der Vergangen¬ heit entgegenwuchs; ſo mußte man ſich bey¬ nahe ſelbſt fragen: ob man denn wirklich in der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein Traum ſey, daß man nunmehr in ganz andern Sit¬ ten, Gewohnheiten, Lebensweiſen und Ueber¬ zeugungen verweile. Auf ſolche Art vorbereitet that ein groͤße¬ res Portefeuille, das er zuletzt herbeybrachte, die beſte Wirkung. Es enthielt zwar meiſt nur umrißne Figuren, die aber, weil ſie auf die Bilder ſelbſt durchgezeichnet waren, ihren alterthuͤmlichen Character vollkommen erhalten hatten, und dieſen, wie einnehmend fanden ihn die Beſchauenden! Aus allen Geſtalten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/26>, abgerufen am 26.04.2024.