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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Ich kann und darf nicht hinterhaltig seyn,
fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Gesin¬
nungen und Vorsätze sogleich entdecken. Du
kennst meine Leidenschaft für Ottilien und hast
längst begriffen, daß sie es ist, die mich in
diesen Feldzug gestürzt hat. Ich läugne nicht,
daß ich gewünscht hatte, ein Leben los zu
werden, das mir ohne sie nichts weiter nütze
war; allein zugleich muß ich dir gestehen,
daß ich es nicht über mich gewinnen konnte,
vollkommen zu verzweifeln. Das Glück mit
ihr war so schön, so wünschenswerth, daß es
mir unmöglich blieb, völlig Verzicht darauf
zu thun. So manche tröstliche Ahndung, so
manches heitere Zeichen hatte mich in dem
Glauben, in dem Wahn bestärkt, Ottilie könne
die meine werden. Ein Glas mit unserm
Namenszug bezeichnet, bey der Grundsteinle¬
gung in die Lüfte geworfen, ging nicht zu
Trümmern; es ward aufgefangen und ist
wieder in meinen Händen. So will ich mich
denn selbst, rief ich mir zu, als ich an diesem

Ich kann und darf nicht hinterhaltig ſeyn,
fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Geſin¬
nungen und Vorſaͤtze ſogleich entdecken. Du
kennſt meine Leidenſchaft fuͤr Ottilien und haſt
laͤngſt begriffen, daß ſie es iſt, die mich in
dieſen Feldzug geſtuͤrzt hat. Ich laͤugne nicht,
daß ich gewuͤnſcht hatte, ein Leben los zu
werden, das mir ohne ſie nichts weiter nuͤtze
war; allein zugleich muß ich dir geſtehen,
daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte,
vollkommen zu verzweifeln. Das Gluͤck mit
ihr war ſo ſchoͤn, ſo wuͤnſchenswerth, daß es
mir unmoͤglich blieb, voͤllig Verzicht darauf
zu thun. So manche troͤſtliche Ahndung, ſo
manches heitere Zeichen hatte mich in dem
Glauben, in dem Wahn beſtaͤrkt, Ottilie koͤnne
die meine werden. Ein Glas mit unſerm
Namenszug bezeichnet, bey der Grundſteinle¬
gung in die Luͤfte geworfen, ging nicht zu
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[229/0232] Ich kann und darf nicht hinterhaltig ſeyn, fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Geſin¬ nungen und Vorſaͤtze ſogleich entdecken. Du kennſt meine Leidenſchaft fuͤr Ottilien und haſt laͤngſt begriffen, daß ſie es iſt, die mich in dieſen Feldzug geſtuͤrzt hat. Ich laͤugne nicht, daß ich gewuͤnſcht hatte, ein Leben los zu werden, das mir ohne ſie nichts weiter nuͤtze war; allein zugleich muß ich dir geſtehen, daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte, vollkommen zu verzweifeln. Das Gluͤck mit ihr war ſo ſchoͤn, ſo wuͤnſchenswerth, daß es mir unmoͤglich blieb, voͤllig Verzicht darauf zu thun. So manche troͤſtliche Ahndung, ſo manches heitere Zeichen hatte mich in dem Glauben, in dem Wahn beſtaͤrkt, Ottilie koͤnne die meine werden. Ein Glas mit unſerm Namenszug bezeichnet, bey der Grundſteinle¬ gung in die Luͤfte geworfen, ging nicht zu Truͤmmern; es ward aufgefangen und iſt wieder in meinen Haͤnden. So will ich mich denn ſelbſt, rief ich mir zu, als ich an dieſem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/232>, abgerufen am 23.11.2024.