Ich kann und darf nicht hinterhaltig seyn, fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Gesin¬ nungen und Vorsätze sogleich entdecken. Du kennst meine Leidenschaft für Ottilien und hast längst begriffen, daß sie es ist, die mich in diesen Feldzug gestürzt hat. Ich läugne nicht, daß ich gewünscht hatte, ein Leben los zu werden, das mir ohne sie nichts weiter nütze war; allein zugleich muß ich dir gestehen, daß ich es nicht über mich gewinnen konnte, vollkommen zu verzweifeln. Das Glück mit ihr war so schön, so wünschenswerth, daß es mir unmöglich blieb, völlig Verzicht darauf zu thun. So manche tröstliche Ahndung, so manches heitere Zeichen hatte mich in dem Glauben, in dem Wahn bestärkt, Ottilie könne die meine werden. Ein Glas mit unserm Namenszug bezeichnet, bey der Grundsteinle¬ gung in die Lüfte geworfen, ging nicht zu Trümmern; es ward aufgefangen und ist wieder in meinen Händen. So will ich mich denn selbst, rief ich mir zu, als ich an diesem
Ich kann und darf nicht hinterhaltig ſeyn, fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Geſin¬ nungen und Vorſaͤtze ſogleich entdecken. Du kennſt meine Leidenſchaft fuͤr Ottilien und haſt laͤngſt begriffen, daß ſie es iſt, die mich in dieſen Feldzug geſtuͤrzt hat. Ich laͤugne nicht, daß ich gewuͤnſcht hatte, ein Leben los zu werden, das mir ohne ſie nichts weiter nuͤtze war; allein zugleich muß ich dir geſtehen, daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte, vollkommen zu verzweifeln. Das Gluͤck mit ihr war ſo ſchoͤn, ſo wuͤnſchenswerth, daß es mir unmoͤglich blieb, voͤllig Verzicht darauf zu thun. So manche troͤſtliche Ahndung, ſo manches heitere Zeichen hatte mich in dem Glauben, in dem Wahn beſtaͤrkt, Ottilie koͤnne die meine werden. Ein Glas mit unſerm Namenszug bezeichnet, bey der Grundſteinle¬ gung in die Luͤfte geworfen, ging nicht zu Truͤmmern; es ward aufgefangen und iſt wieder in meinen Haͤnden. So will ich mich denn ſelbſt, rief ich mir zu, als ich an dieſem
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0232"n="229"/><p>Ich kann und darf nicht hinterhaltig ſeyn,<lb/>
fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Geſin¬<lb/>
nungen und Vorſaͤtze ſogleich entdecken. Du<lb/>
kennſt meine Leidenſchaft fuͤr Ottilien und haſt<lb/>
laͤngſt begriffen, daß ſie es iſt, die mich in<lb/>
dieſen Feldzug geſtuͤrzt hat. Ich laͤugne nicht,<lb/>
daß ich gewuͤnſcht hatte, ein Leben los zu<lb/>
werden, das mir ohne ſie nichts weiter nuͤtze<lb/>
war; allein zugleich muß ich dir geſtehen,<lb/>
daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte,<lb/>
vollkommen zu verzweifeln. Das Gluͤck mit<lb/>
ihr war ſo ſchoͤn, ſo wuͤnſchenswerth, daß es<lb/>
mir unmoͤglich blieb, voͤllig Verzicht darauf<lb/>
zu thun. So manche troͤſtliche Ahndung, ſo<lb/>
manches heitere Zeichen hatte mich in dem<lb/>
Glauben, in dem Wahn beſtaͤrkt, Ottilie koͤnne<lb/>
die meine werden. Ein Glas mit unſerm<lb/>
Namenszug bezeichnet, bey der Grundſteinle¬<lb/>
gung in die Luͤfte geworfen, ging nicht zu<lb/>
Truͤmmern; es ward aufgefangen und iſt<lb/>
wieder in meinen Haͤnden. So will ich mich<lb/>
denn ſelbſt, rief ich mir zu, als ich an dieſem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[229/0232]
Ich kann und darf nicht hinterhaltig ſeyn,
fuhr Eduard fort: ich muß dir meine Geſin¬
nungen und Vorſaͤtze ſogleich entdecken. Du
kennſt meine Leidenſchaft fuͤr Ottilien und haſt
laͤngſt begriffen, daß ſie es iſt, die mich in
dieſen Feldzug geſtuͤrzt hat. Ich laͤugne nicht,
daß ich gewuͤnſcht hatte, ein Leben los zu
werden, das mir ohne ſie nichts weiter nuͤtze
war; allein zugleich muß ich dir geſtehen,
daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte,
vollkommen zu verzweifeln. Das Gluͤck mit
ihr war ſo ſchoͤn, ſo wuͤnſchenswerth, daß es
mir unmoͤglich blieb, voͤllig Verzicht darauf
zu thun. So manche troͤſtliche Ahndung, ſo
manches heitere Zeichen hatte mich in dem
Glauben, in dem Wahn beſtaͤrkt, Ottilie koͤnne
die meine werden. Ein Glas mit unſerm
Namenszug bezeichnet, bey der Grundſteinle¬
gung in die Luͤfte geworfen, ging nicht zu
Truͤmmern; es ward aufgefangen und iſt
wieder in meinen Haͤnden. So will ich mich
denn ſelbſt, rief ich mir zu, als ich an dieſem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/232>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.