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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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genießen; und so trug sie es am liebsten
selbst heraus, trug das schlafende unbewußte
zwischen Blumen und Blüthen her, die der¬
einst seiner Kindheit so freundlich entgegen
lachen sollten, zwischen jungen Sträuchen und
Pflanzen, die mit ihm in die Höhe zu wach¬
sen durch ihre Jugend bestimmt schienen.
Wenn sie um sich her sah, so verbarg sie
sich nicht, zu welchem großen reichen Zustande
das Kind geboren sey: denn fast alles wohin
das Auge blickte, sollte dereinst ihm gehö¬
ren. Wie wünschenswerth war es zu diesem
allen, daß es vor den Augen des Vaters,
der Mutter, aufwüchse und eine erneute frohe
Verbindung bestätigte.

Ottilie fühlte dieß alles so rein, daß sie
sich's als entschieden wirklich dachte und sich
selbst dabey gar nicht empfand. Unter diesem
klaren Himmel, bey diesem hellen Sonnen¬
schein, ward es ihr auf einmal klar, daß
ihre Liebe, um sich zu vollenden, völlig un¬

genießen; und ſo trug ſie es am liebſten
ſelbſt heraus, trug das ſchlafende unbewußte
zwiſchen Blumen und Bluͤthen her, die der¬
einſt ſeiner Kindheit ſo freundlich entgegen
lachen ſollten, zwiſchen jungen Straͤuchen und
Pflanzen, die mit ihm in die Hoͤhe zu wach¬
ſen durch ihre Jugend beſtimmt ſchienen.
Wenn ſie um ſich her ſah, ſo verbarg ſie
ſich nicht, zu welchem großen reichen Zuſtande
das Kind geboren ſey: denn faſt alles wohin
das Auge blickte, ſollte dereinſt ihm gehoͤ¬
ren. Wie wuͤnſchenswerth war es zu dieſem
allen, daß es vor den Augen des Vaters,
der Mutter, aufwuͤchſe und eine erneute frohe
Verbindung beſtaͤtigte.

Ottilie fuͤhlte dieß alles ſo rein, daß ſie
ſich's als entſchieden wirklich dachte und ſich
ſelbſt dabey gar nicht empfand. Unter dieſem
klaren Himmel, bey dieſem hellen Sonnen¬
ſchein, ward es ihr auf einmal klar, daß
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[173/0176] genießen; und ſo trug ſie es am liebſten ſelbſt heraus, trug das ſchlafende unbewußte zwiſchen Blumen und Bluͤthen her, die der¬ einſt ſeiner Kindheit ſo freundlich entgegen lachen ſollten, zwiſchen jungen Straͤuchen und Pflanzen, die mit ihm in die Hoͤhe zu wach¬ ſen durch ihre Jugend beſtimmt ſchienen. Wenn ſie um ſich her ſah, ſo verbarg ſie ſich nicht, zu welchem großen reichen Zuſtande das Kind geboren ſey: denn faſt alles wohin das Auge blickte, ſollte dereinſt ihm gehoͤ¬ ren. Wie wuͤnſchenswerth war es zu dieſem allen, daß es vor den Augen des Vaters, der Mutter, aufwuͤchſe und eine erneute frohe Verbindung beſtaͤtigte. Ottilie fuͤhlte dieß alles ſo rein, daß ſie ſich's als entſchieden wirklich dachte und ſich ſelbſt dabey gar nicht empfand. Unter dieſem klaren Himmel, bey dieſem hellen Sonnen¬ ſchein, ward es ihr auf einmal klar, daß ihre Liebe, um ſich zu vollenden, voͤllig un¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/176>, abgerufen am 25.11.2024.