"Dießmal gestand er mir, daß es ihm eben so gehe. Von der Natur, sagte er, sollten wir nichts kennen, als was uns un¬ mittelbar lebendig umgiebt. Mit den Bäu¬ men die um uns blühen, grünen, Frucht tragen, mit jeder Staude an der wir vorbey¬ gehen, mit jedem Grashalm über den wir hinwandeln, haben wir ein wahres Verhält¬ niß, sie sind unsre ächten Compatrioten. Die Vögel die auf unsern Zweigen hin und wieder hüpfen, die in unserm Laube singen, gehören uns an, sie sprechen zu uns, von Jugend auf, und wir lernen ihre Sprache verstehen. Man frage sich, ob nicht ein jedes fremde, aus seiner Umgebung gerissene Geschöpf ei¬ nen gewissen ängstlichen Eindruck auf uns macht, der nur durch Gewohnheit abgestumpft wird. Es gehört schon ein buntes geräusch¬ volles Leben dazu, um Affen, Papageyen und Mohren um sich zu ertragen."
"Manchmal wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen abenteuerlichen Din¬
„Dießmal geſtand er mir, daß es ihm eben ſo gehe. Von der Natur, ſagte er, ſollten wir nichts kennen, als was uns un¬ mittelbar lebendig umgiebt. Mit den Baͤu¬ men die um uns bluͤhen, gruͤnen, Frucht tragen, mit jeder Staude an der wir vorbey¬ gehen, mit jedem Grashalm uͤber den wir hinwandeln, haben wir ein wahres Verhaͤlt¬ niß, ſie ſind unſre aͤchten Compatrioten. Die Voͤgel die auf unſern Zweigen hin und wieder huͤpfen, die in unſerm Laube ſingen, gehoͤren uns an, ſie ſprechen zu uns, von Jugend auf, und wir lernen ihre Sprache verſtehen. Man frage ſich, ob nicht ein jedes fremde, aus ſeiner Umgebung geriſſene Geſchoͤpf ei¬ nen gewiſſen aͤngſtlichen Eindruck auf uns macht, der nur durch Gewohnheit abgeſtumpft wird. Es gehoͤrt ſchon ein buntes geraͤuſch¬ volles Leben dazu, um Affen, Papageyen und Mohren um ſich zu ertragen.“
„Manchmal wenn mich ein neugieriges Verlangen nach ſolchen abenteuerlichen Din¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0152"n="149"/><p>„Dießmal geſtand er mir, daß es ihm<lb/>
eben ſo gehe. Von der Natur, ſagte er,<lb/>ſollten wir nichts kennen, als was uns un¬<lb/>
mittelbar lebendig umgiebt. Mit den Baͤu¬<lb/>
men die um uns bluͤhen, gruͤnen, Frucht<lb/>
tragen, mit jeder Staude an der wir vorbey¬<lb/>
gehen, mit jedem Grashalm uͤber den wir<lb/>
hinwandeln, haben wir ein wahres Verhaͤlt¬<lb/>
niß, ſie ſind unſre aͤchten Compatrioten. Die<lb/>
Voͤgel die auf unſern Zweigen hin und wieder<lb/>
huͤpfen, die in unſerm Laube ſingen, gehoͤren<lb/>
uns an, ſie ſprechen zu uns, von Jugend<lb/>
auf, und wir lernen ihre Sprache verſtehen.<lb/>
Man frage ſich, ob nicht ein jedes fremde,<lb/>
aus ſeiner Umgebung geriſſene Geſchoͤpf ei¬<lb/>
nen gewiſſen aͤngſtlichen Eindruck auf uns<lb/>
macht, der nur durch Gewohnheit abgeſtumpft<lb/>
wird. Es gehoͤrt ſchon ein buntes geraͤuſch¬<lb/>
volles Leben dazu, um Affen, Papageyen<lb/>
und Mohren um ſich zu ertragen.“</p><lb/><p>„Manchmal wenn mich ein neugieriges<lb/>
Verlangen nach ſolchen abenteuerlichen Din¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[149/0152]
„Dießmal geſtand er mir, daß es ihm
eben ſo gehe. Von der Natur, ſagte er,
ſollten wir nichts kennen, als was uns un¬
mittelbar lebendig umgiebt. Mit den Baͤu¬
men die um uns bluͤhen, gruͤnen, Frucht
tragen, mit jeder Staude an der wir vorbey¬
gehen, mit jedem Grashalm uͤber den wir
hinwandeln, haben wir ein wahres Verhaͤlt¬
niß, ſie ſind unſre aͤchten Compatrioten. Die
Voͤgel die auf unſern Zweigen hin und wieder
huͤpfen, die in unſerm Laube ſingen, gehoͤren
uns an, ſie ſprechen zu uns, von Jugend
auf, und wir lernen ihre Sprache verſtehen.
Man frage ſich, ob nicht ein jedes fremde,
aus ſeiner Umgebung geriſſene Geſchoͤpf ei¬
nen gewiſſen aͤngſtlichen Eindruck auf uns
macht, der nur durch Gewohnheit abgeſtumpft
wird. Es gehoͤrt ſchon ein buntes geraͤuſch¬
volles Leben dazu, um Affen, Papageyen
und Mohren um ſich zu ertragen.“
„Manchmal wenn mich ein neugieriges
Verlangen nach ſolchen abenteuerlichen Din¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/152>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.