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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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und geliebt zu werden treibt ihn ins Unend¬
liche. Wie verändert ist ihm die Ansicht von
allen Zimmern, von allen Umgebungen! Er
findet sich in seinem eigenen Hause nicht mehr.
Ottiliens Gegenwart verschlingt ihm alles:
er ist ganz in ihr versunken; keine andre Be¬
trachtung steigt vor ihm auf, kein Gewissen
spricht ihm zu; alles was in seiner Natur
gebändigt war bricht los, sein ganzes Wesen
strömt gegen Ottilien.

Der Hauptmann beobachtet dieses leiden¬
schaftliche Treiben und wünscht den traurigen
Folgen zuvorzukommen. Alle diese Anlagen,
die jetzt mit einem einseitigen Triebe übermä¬
ßig gefördert werden, hatte er auf ein ruhig
freundliches Zusammenleben berechnet. Der
Verkauf des Vorwerks war durch ihn zu
Stande gebracht, die erste Zahlung geschehen,
Charlotte hatte sie der Abrede nach in ihre
Casse genommen. Aber sie muß gleich in der
ersten Woche Ernst und Geduld und Ordnung

I. 15

und geliebt zu werden treibt ihn ins Unend¬
liche. Wie veraͤndert iſt ihm die Anſicht von
allen Zimmern, von allen Umgebungen! Er
findet ſich in ſeinem eigenen Hauſe nicht mehr.
Ottiliens Gegenwart verſchlingt ihm alles:
er iſt ganz in ihr verſunken; keine andre Be¬
trachtung ſteigt vor ihm auf, kein Gewiſſen
ſpricht ihm zu; alles was in ſeiner Natur
gebaͤndigt war bricht los, ſein ganzes Weſen
ſtroͤmt gegen Ottilien.

Der Hauptmann beobachtet dieſes leiden¬
ſchaftliche Treiben und wuͤnſcht den traurigen
Folgen zuvorzukommen. Alle dieſe Anlagen,
die jetzt mit einem einſeitigen Triebe uͤbermaͤ¬
ßig gefoͤrdert werden, hatte er auf ein ruhig
freundliches Zuſammenleben berechnet. Der
Verkauf des Vorwerks war durch ihn zu
Stande gebracht, die erſte Zahlung geſchehen,
Charlotte hatte ſie der Abrede nach in ihre
Caſſe genommen. Aber ſie muß gleich in der
erſten Woche Ernſt und Geduld und Ordnung

I. 15
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[225/0230] und geliebt zu werden treibt ihn ins Unend¬ liche. Wie veraͤndert iſt ihm die Anſicht von allen Zimmern, von allen Umgebungen! Er findet ſich in ſeinem eigenen Hauſe nicht mehr. Ottiliens Gegenwart verſchlingt ihm alles: er iſt ganz in ihr verſunken; keine andre Be¬ trachtung ſteigt vor ihm auf, kein Gewiſſen ſpricht ihm zu; alles was in ſeiner Natur gebaͤndigt war bricht los, ſein ganzes Weſen ſtroͤmt gegen Ottilien. Der Hauptmann beobachtet dieſes leiden¬ ſchaftliche Treiben und wuͤnſcht den traurigen Folgen zuvorzukommen. Alle dieſe Anlagen, die jetzt mit einem einſeitigen Triebe uͤbermaͤ¬ ßig gefoͤrdert werden, hatte er auf ein ruhig freundliches Zuſammenleben berechnet. Der Verkauf des Vorwerks war durch ihn zu Stande gebracht, die erſte Zahlung geſchehen, Charlotte hatte ſie der Abrede nach in ihre Caſſe genommen. Aber ſie muß gleich in der erſten Woche Ernſt und Geduld und Ordnung I. 15

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/230>, abgerufen am 26.11.2024.