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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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sen Widersprüchen ihr tüchtiger und durchs
Leben mannigfaltig geübter Character zu Hülfe.
Immer gewohnt sich ihrer selbst bewußt zu
seyn, sich selbst zu gebieten, ward es ihr auch
jetzt nicht schwer, durch ernste Betrachtung
sich dem erwünschten Gleichgewichte zu nä¬
hern; ja sie mußte über sich selbst lächeln,
indem sie des wunderlichen Nachtbesuches
gedachte. Doch schnell ergriff sie eine seltsa¬
me Ahndung, ein freudig bängliches Erzit¬
tern, das in fromme Wünsche und Hoffnun¬
gen sich auflöste. Gerührt kniete sie nieder,
sie wiederhohlte den Schwur den sie Eduar¬
den vor dem Altar gethan. Freundschaft,
Neigung, Entsagen gingen vor ihr in heitern
Bildern vorüber. Sie fühlte sich innerlich
wieder hergestellt. Bald ergreift sie eine süße
Müdigkeit und ruhig schläft sie ein.


ſen Widerſpruͤchen ihr tuͤchtiger und durchs
Leben mannigfaltig geuͤbter Character zu Huͤlfe.
Immer gewohnt ſich ihrer ſelbſt bewußt zu
ſeyn, ſich ſelbſt zu gebieten, ward es ihr auch
jetzt nicht ſchwer, durch ernſte Betrachtung
ſich dem erwuͤnſchten Gleichgewichte zu naͤ¬
hern; ja ſie mußte uͤber ſich ſelbſt laͤcheln,
indem ſie des wunderlichen Nachtbeſuches
gedachte. Doch ſchnell ergriff ſie eine ſeltſa¬
me Ahndung, ein freudig baͤngliches Erzit¬
tern, das in fromme Wuͤnſche und Hoffnun¬
gen ſich aufloͤſte. Geruͤhrt kniete ſie nieder,
ſie wiederhohlte den Schwur den ſie Eduar¬
den vor dem Altar gethan. Freundſchaft,
Neigung, Entſagen gingen vor ihr in heitern
Bildern voruͤber. Sie fuͤhlte ſich innerlich
wieder hergeſtellt. Bald ergreift ſie eine ſuͤße
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[221/0226] ſen Widerſpruͤchen ihr tuͤchtiger und durchs Leben mannigfaltig geuͤbter Character zu Huͤlfe. Immer gewohnt ſich ihrer ſelbſt bewußt zu ſeyn, ſich ſelbſt zu gebieten, ward es ihr auch jetzt nicht ſchwer, durch ernſte Betrachtung ſich dem erwuͤnſchten Gleichgewichte zu naͤ¬ hern; ja ſie mußte uͤber ſich ſelbſt laͤcheln, indem ſie des wunderlichen Nachtbeſuches gedachte. Doch ſchnell ergriff ſie eine ſeltſa¬ me Ahndung, ein freudig baͤngliches Erzit¬ tern, das in fromme Wuͤnſche und Hoffnun¬ gen ſich aufloͤſte. Geruͤhrt kniete ſie nieder, ſie wiederhohlte den Schwur den ſie Eduar¬ den vor dem Altar gethan. Freundſchaft, Neigung, Entſagen gingen vor ihr in heitern Bildern voruͤber. Sie fuͤhlte ſich innerlich wieder hergeſtellt. Bald ergreift ſie eine ſuͤße Muͤdigkeit und ruhig ſchlaͤft ſie ein.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/226>, abgerufen am 26.11.2024.