Man erkennt nur erst das Schätzenswerthe in der Welt, wenn man solche Gesinnungen an Ei¬ nem Gegenstande zu üben Gelegenheit findet.
Charlotte suchte bald in ihr Schlafzim¬ mer zu gelangen, um sich der Erinnerung dessen zu überlassen, was diesen Abend zwi¬ schen ihr und dem Hauptmann vorgegangen war.
Als Eduard ans Ufer springend den Kahn vom Lande stieß, Gattinn und Freund dem schwankenden Element selbst überantwor¬ tete, sah nunmehr Charlotte den Mann, um den sie im Stillen schon so viel gelitten hatte, in der Dämmerung vor sich sitzen und durch die Führung zweyer Ruder das Fahrzeug in beliebiger Richtung fortbewegen. Sie em¬ pfand eine tiefe, selten gefühlte Traurigkeit. Das Kreisen des Kahns, das Plätschern der Ruder, der über den Wasserspiegel hinschau¬ ernde Windhauch, das Säuseln der Rohre,
Man erkennt nur erſt das Schaͤtzenswerthe in der Welt, wenn man ſolche Geſinnungen an Ei¬ nem Gegenſtande zu uͤben Gelegenheit findet.
Charlotte ſuchte bald in ihr Schlafzim¬ mer zu gelangen, um ſich der Erinnerung deſſen zu uͤberlaſſen, was dieſen Abend zwi¬ ſchen ihr und dem Hauptmann vorgegangen war.
Als Eduard ans Ufer ſpringend den Kahn vom Lande ſtieß, Gattinn und Freund dem ſchwankenden Element ſelbſt uͤberantwor¬ tete, ſah nunmehr Charlotte den Mann, um den ſie im Stillen ſchon ſo viel gelitten hatte, in der Daͤmmerung vor ſich ſitzen und durch die Fuͤhrung zweyer Ruder das Fahrzeug in beliebiger Richtung fortbewegen. Sie em¬ pfand eine tiefe, ſelten gefuͤhlte Traurigkeit. Das Kreiſen des Kahns, das Plaͤtſchern der Ruder, der uͤber den Waſſerſpiegel hinſchau¬ ernde Windhauch, das Saͤuſeln der Rohre,
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Man erkennt nur erſt das Schaͤtzenswerthe in
der Welt, wenn man ſolche Geſinnungen an Ei¬
nem Gegenſtande zu uͤben Gelegenheit findet.
Charlotte ſuchte bald in ihr Schlafzim¬
mer zu gelangen, um ſich der Erinnerung
deſſen zu uͤberlaſſen, was dieſen Abend zwi¬
ſchen ihr und dem Hauptmann vorgegangen
war.
Als Eduard ans Ufer ſpringend den
Kahn vom Lande ſtieß, Gattinn und Freund
dem ſchwankenden Element ſelbſt uͤberantwor¬
tete, ſah nunmehr Charlotte den Mann, um
den ſie im Stillen ſchon ſo viel gelitten hatte,
in der Daͤmmerung vor ſich ſitzen und durch
die Fuͤhrung zweyer Ruder das Fahrzeug in
beliebiger Richtung fortbewegen. Sie em¬
pfand eine tiefe, ſelten gefuͤhlte Traurigkeit.
Das Kreiſen des Kahns, das Plaͤtſchern der
Ruder, der uͤber den Waſſerſpiegel hinſchau¬
ernde Windhauch, das Saͤuſeln der Rohre,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/221>, abgerufen am 27.11.2024.
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