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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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genwärtiges, auf unser vergangenes Leben
werfen, und du wirst mir eingestehen, daß
die Berufung des Hauptmanns nicht so ganz
mit unsern Vorsätzen, unsern Planen, unsern
Einrichtungen zusammentrifft.

Mag ich doch so gern unserer frühsten
Verhältnisse gedenken! Wir liebten einander
als junge Leute recht herzlich; wir wurden
getrennt: du von mir, weil dein Vater, aus
nie zu sättigender Begierde des Besitzes, dich
mit einer ziemlich älteren reichen Frau ver¬
band; ich von dir, weil ich, ohne sonderli¬
che Aussichten, einem wohlhabenden, nicht ge¬
liebten aber geehrten Manne meine Hand rei¬
chen mußte. Wir wurden wieder frey; du
früher, indem dich dein Mütterchen im Besitz
eines großen Vermögens ließ; ich später, eben
zu der Zeit, da du von Reisen zurückkamst.
So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns
der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung,
wir konnten ungestört zusammen leben. Du

genwaͤrtiges, auf unſer vergangenes Leben
werfen, und du wirſt mir eingeſtehen, daß
die Berufung des Hauptmanns nicht ſo ganz
mit unſern Vorſaͤtzen, unſern Planen, unſern
Einrichtungen zuſammentrifft.

Mag ich doch ſo gern unſerer fruͤhſten
Verhaͤltniſſe gedenken! Wir liebten einander
als junge Leute recht herzlich; wir wurden
getrennt: du von mir, weil dein Vater, aus
nie zu ſaͤttigender Begierde des Beſitzes, dich
mit einer ziemlich aͤlteren reichen Frau ver¬
band; ich von dir, weil ich, ohne ſonderli¬
che Ausſichten, einem wohlhabenden, nicht ge¬
liebten aber geehrten Manne meine Hand rei¬
chen mußte. Wir wurden wieder frey; du
fruͤher, indem dich dein Muͤtterchen im Beſitz
eines großen Vermoͤgens ließ; ich ſpaͤter, eben
zu der Zeit, da du von Reiſen zuruͤckkamſt.
So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns
der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung,
wir konnten ungeſtoͤrt zuſammen leben. Du

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[13/0018] genwaͤrtiges, auf unſer vergangenes Leben werfen, und du wirſt mir eingeſtehen, daß die Berufung des Hauptmanns nicht ſo ganz mit unſern Vorſaͤtzen, unſern Planen, unſern Einrichtungen zuſammentrifft. Mag ich doch ſo gern unſerer fruͤhſten Verhaͤltniſſe gedenken! Wir liebten einander als junge Leute recht herzlich; wir wurden getrennt: du von mir, weil dein Vater, aus nie zu ſaͤttigender Begierde des Beſitzes, dich mit einer ziemlich aͤlteren reichen Frau ver¬ band; ich von dir, weil ich, ohne ſonderli¬ che Ausſichten, einem wohlhabenden, nicht ge¬ liebten aber geehrten Manne meine Hand rei¬ chen mußte. Wir wurden wieder frey; du fruͤher, indem dich dein Muͤtterchen im Beſitz eines großen Vermoͤgens ließ; ich ſpaͤter, eben zu der Zeit, da du von Reiſen zuruͤckkamſt. So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungeſtoͤrt zuſammen leben. Du

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/18>, abgerufen am 26.04.2024.