Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Tasso. Mich spricht, o Herr, Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey. Ja, es ist wahr, ich drohte, forderte, Ich zog. Allein, wie tückisch seine Zunge Mit wohlgewählten Worten mich verletzt, Wie scharf und schnell sein Zahn das feine Gift Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber Nur mehr und mehr erhitzt -- Du denkst es nicht! Gelassen, kalt, hat er mich ausgehalten, Auf's höchste mich getrieben. O! du kennst, Du kennst ihn nicht und wirst ihn niemals kennen! Ich trug ihm warm die schönste Freundschaft an; Er warf mir meine Gaben vor die Füße; Und hätte meine Seele nicht geglüht, So war sie deiner Gnade, deines Dienstes Auf ewig unwerth. Hab' ich des Gesetzes Und dieses Orts vergessen, so verzeih, Torquato Taſſo Taſſo. Mich ſpricht, o Herr, Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey. Ja, es iſt wahr, ich drohte, forderte, Ich zog. Allein, wie tückiſch ſeine Zunge Mit wohlgewählten Worten mich verletzt, Wie ſcharf und ſchnell ſein Zahn das feine Gift Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber Nur mehr und mehr erhitzt — Du denkſt es nicht! Gelaſſen, kalt, hat er mich ausgehalten, Auf’s höchſte mich getrieben. O! du kennſt, Du kennſt ihn nicht und wirſt ihn niemals kennen! Ich trug ihm warm die ſchönſte Freundſchaft an; Er warf mir meine Gaben vor die Füße; Und hätte meine Seele nicht geglüht, So war ſie deiner Gnade, deines Dienſtes Auf ewig unwerth. Hab’ ich des Geſetzes Und dieſes Orts vergeſſen, ſo verzeih, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0104" n="96"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi> </fw><lb/> <sp who="#TAS"> <speaker><hi rendition="#g">Taſſo</hi>.</speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Mich ſpricht, o Herr,</hi><lb/> Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey.<lb/> Ja, es iſt wahr, ich drohte, forderte,<lb/> Ich zog. Allein, wie tückiſch ſeine Zunge<lb/> Mit wohlgewählten Worten mich verletzt,<lb/> Wie ſcharf und ſchnell ſein Zahn das feine<lb/> Gift<lb/> Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber<lb/> Nur mehr und mehr erhitzt — Du denkſt<lb/> es nicht!<lb/> Gelaſſen, kalt, hat er mich ausgehalten,<lb/> Auf’s höchſte mich getrieben. O! du kennſt,<lb/> Du kennſt ihn nicht und wirſt ihn niemals<lb/> kennen!<lb/> Ich trug ihm warm die ſchönſte Freundſchaft<lb/> an;<lb/> Er warf mir meine Gaben vor die Füße;<lb/> Und hätte meine Seele nicht geglüht,<lb/> So war ſie deiner Gnade, deines Dienſtes<lb/> Auf ewig unwerth. Hab’ ich des Geſetzes<lb/> Und dieſes Orts vergeſſen, ſo verzeih,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0104]
Torquato Taſſo
Taſſo.
Mich ſpricht, o Herr,
Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey.
Ja, es iſt wahr, ich drohte, forderte,
Ich zog. Allein, wie tückiſch ſeine Zunge
Mit wohlgewählten Worten mich verletzt,
Wie ſcharf und ſchnell ſein Zahn das feine
Gift
Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber
Nur mehr und mehr erhitzt — Du denkſt
es nicht!
Gelaſſen, kalt, hat er mich ausgehalten,
Auf’s höchſte mich getrieben. O! du kennſt,
Du kennſt ihn nicht und wirſt ihn niemals
kennen!
Ich trug ihm warm die ſchönſte Freundſchaft
an;
Er warf mir meine Gaben vor die Füße;
Und hätte meine Seele nicht geglüht,
So war ſie deiner Gnade, deines Dienſtes
Auf ewig unwerth. Hab’ ich des Geſetzes
Und dieſes Orts vergeſſen, ſo verzeih,
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_torquato_1790/104>, abgerufen am 16.02.2025. |