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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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hen, ein Gemählde soll lehren, ein Schau¬
spieler bessern und alles soll alles werden.
Eigentlich aber weil die meisten Menschen
selbst formlos sind, weil sie sich und ihrem
Wesen selbst keine Gestalt geben können, so
arbeiten sie den Gegenständen ihre Gestalt
zu nehmen, damit ja alles loser und lockrer
Stoff werde, wozu sie auch gehören. Alles
reduciren sie zuletzt auf den sogenannten Ef¬
fect, alles ist relativ, und so wird auch alles
relativ, außer dem Unsinn und der Abge¬
schmacktheit, die denn auch ganz absolut
regiert.

Ich verstehe Sie, versetzte Jarno, oder
vielmehr ich sehe wohl ein, wie das, was
Sie sagen, mit den Grundsätzen zusammen¬
hängt, an denen Sie so fest halten; ich kann
es aber mit den armen Teufeln von Men¬
schen unmöglich so genau nehmen. Ich kenne
freylich ihrer genug, die sich bey den grö߬

hen, ein Gemählde ſoll lehren, ein Schau¬
ſpieler beſſern und alles ſoll alles werden.
Eigentlich aber weil die meiſten Menſchen
ſelbſt formlos ſind, weil ſie ſich und ihrem
Weſen ſelbſt keine Geſtalt geben können, ſo
arbeiten ſie den Gegenſtänden ihre Geſtalt
zu nehmen, damit ja alles loſer und lockrer
Stoff werde, wozu ſie auch gehören. Alles
reduciren ſie zuletzt auf den ſogenannten Ef¬
fect, alles iſt relativ, und ſo wird auch alles
relativ, außer dem Unſinn und der Abge¬
ſchmacktheit, die denn auch ganz abſolut
regiert.

Ich verſtehe Sie, verſetzte Jarno, oder
vielmehr ich ſehe wohl ein, wie das, was
Sie ſagen, mit den Grundſätzen zuſammen¬
hängt, an denen Sie ſo feſt halten; ich kann
es aber mit den armen Teufeln von Men¬
ſchen unmöglich ſo genau nehmen. Ich kenne
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[411/0415] hen, ein Gemählde ſoll lehren, ein Schau¬ ſpieler beſſern und alles ſoll alles werden. Eigentlich aber weil die meiſten Menſchen ſelbſt formlos ſind, weil ſie ſich und ihrem Weſen ſelbſt keine Geſtalt geben können, ſo arbeiten ſie den Gegenſtänden ihre Geſtalt zu nehmen, damit ja alles loſer und lockrer Stoff werde, wozu ſie auch gehören. Alles reduciren ſie zuletzt auf den ſogenannten Ef¬ fect, alles iſt relativ, und ſo wird auch alles relativ, außer dem Unſinn und der Abge¬ ſchmacktheit, die denn auch ganz abſolut regiert. Ich verſtehe Sie, verſetzte Jarno, oder vielmehr ich ſehe wohl ein, wie das, was Sie ſagen, mit den Grundſätzen zuſammen¬ hängt, an denen Sie ſo feſt halten; ich kann es aber mit den armen Teufeln von Men¬ ſchen unmöglich ſo genau nehmen. Ich kenne freylich ihrer genug, die ſich bey den grö߬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/415>, abgerufen am 22.11.2024.