Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

so hätte er viel glückliche Menschen machen,
und sich und ihnen einen Himmel auf Er¬
den schaffen können. Selten sind unsere Auf¬
opferungen thätig, wir thun gleich Verzicht
auf das, was wir weggeben. Nicht ent¬
schlossen, sondern verzweifelt entsagen wir
dem, was wir besitzen. Diese Tage, ich ge¬
steh es, schwebt mir der Graf immer vor
Augen, und ich bin fest entschlossen, das aus
Überzeugung zu thun, wozu ihn ein ängst¬
licher Wahn treibt, ich will meine Genesung
nicht abwarten. Hier sind die Papiere, sie
dürfen nur ins reine gebracht werden, neh¬
men Sie den Gerichtshalter dazu, unser Gast
hilft Ihnen auch, Sie wissen so gut als ich,
worauf es ankommt, und ich will hier gene¬
send oder sterbend dabey bleiben und ausru¬
fen : hier! oder nirgends ist Herrnhut.

Als Lydie ihren Freund von sterben reden
hörte, stürzte sie vor seinem Bette nieder,

ſo hätte er viel glückliche Menſchen machen,
und ſich und ihnen einen Himmel auf Er¬
den ſchaffen können. Selten ſind unſere Auf¬
opferungen thätig, wir thun gleich Verzicht
auf das, was wir weggeben. Nicht ent¬
ſchloſſen, ſondern verzweifelt entſagen wir
dem, was wir beſitzen. Dieſe Tage, ich ge¬
ſteh es, ſchwebt mir der Graf immer vor
Augen, und ich bin feſt entſchloſſen, das aus
Überzeugung zu thun, wozu ihn ein ängſt¬
licher Wahn treibt, ich will meine Geneſung
nicht abwarten. Hier ſind die Papiere, ſie
dürfen nur ins reine gebracht werden, neh¬
men Sie den Gerichtshalter dazu, unſer Gaſt
hilft Ihnen auch, Sie wiſſen ſo gut als ich,
worauf es ankommt, und ich will hier gene¬
ſend oder ſterbend dabey bleiben und ausru¬
fen : hier! oder nirgends iſt Herrnhut.

Als Lydie ihren Freund von ſterben reden
hörte, ſtürzte ſie vor ſeinem Bette nieder,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0041" n="37"/>
&#x017F;o hätte er viel glückliche Men&#x017F;chen machen,<lb/>
und &#x017F;ich und ihnen einen Himmel auf Er¬<lb/>
den &#x017F;chaffen können. Selten &#x017F;ind un&#x017F;ere Auf¬<lb/>
opferungen thätig, wir thun gleich Verzicht<lb/>
auf das, was wir weggeben. Nicht ent¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern verzweifelt ent&#x017F;agen wir<lb/>
dem, was wir be&#x017F;itzen. Die&#x017F;e Tage, ich ge¬<lb/>
&#x017F;teh es, &#x017F;chwebt mir der Graf immer vor<lb/>
Augen, und ich bin fe&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, das aus<lb/>
Überzeugung zu thun, wozu ihn ein äng&#x017F;<lb/>
licher Wahn treibt, ich will meine Gene&#x017F;ung<lb/>
nicht abwarten. Hier &#x017F;ind die Papiere, &#x017F;ie<lb/>
dürfen nur ins reine gebracht werden, neh¬<lb/>
men Sie den Gerichtshalter dazu, un&#x017F;er Ga&#x017F;t<lb/>
hilft Ihnen auch, Sie wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o gut als ich,<lb/>
worauf es ankommt, und ich will hier gene¬<lb/>
&#x017F;end oder &#x017F;terbend dabey bleiben und ausru¬<lb/>
fen : <hi rendition="#g">hier</hi>! <hi rendition="#g">oder nirgends i&#x017F;t Herrnhut</hi>.</p><lb/>
            <p>Als Lydie ihren Freund von &#x017F;terben reden<lb/>
hörte, &#x017F;türzte &#x017F;ie vor &#x017F;einem Bette nieder,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0041] ſo hätte er viel glückliche Menſchen machen, und ſich und ihnen einen Himmel auf Er¬ den ſchaffen können. Selten ſind unſere Auf¬ opferungen thätig, wir thun gleich Verzicht auf das, was wir weggeben. Nicht ent¬ ſchloſſen, ſondern verzweifelt entſagen wir dem, was wir beſitzen. Dieſe Tage, ich ge¬ ſteh es, ſchwebt mir der Graf immer vor Augen, und ich bin feſt entſchloſſen, das aus Überzeugung zu thun, wozu ihn ein ängſt¬ licher Wahn treibt, ich will meine Geneſung nicht abwarten. Hier ſind die Papiere, ſie dürfen nur ins reine gebracht werden, neh¬ men Sie den Gerichtshalter dazu, unſer Gaſt hilft Ihnen auch, Sie wiſſen ſo gut als ich, worauf es ankommt, und ich will hier gene¬ ſend oder ſterbend dabey bleiben und ausru¬ fen : hier! oder nirgends iſt Herrnhut. Als Lydie ihren Freund von ſterben reden hörte, ſtürzte ſie vor ſeinem Bette nieder,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/41
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/41>, abgerufen am 24.11.2024.