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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Brief. Hier sind Marianens letzte Worte,
sagte sie.

Sie ist todt! rief er aus.

Todt! sagte die Alte; möchte ich Ihnen
doch alle Vorwürfe ersparen können.

Überrascht und verwirrt erbrach Wilhelm
den Brief; er hatte aber kaum die ersten
Worte gelesen, als ihn ein bittrer Schmerz
ergriff, er ließ den Brief fallen, stürzte auf
eine Rasenbank, und blieb eine Zeit lang
liegen. Mignon bemühte sich um ihn. In¬
dessen hatte Felix den Brief aufgehoben, und
zerrte seine Gespielinn so lange, bis diese
nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas.
Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm
war genöthigt sie zweymal zu hören. "Wenn
dieses Blatt jemals zu Dir kommt, so be¬
daure Deine unglückliche Geliebte, Deine
Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe,
dessen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,

ist

Brief. Hier ſind Marianens letzte Worte,
ſagte ſie.

Sie iſt todt! rief er aus.

Todt! ſagte die Alte; möchte ich Ihnen
doch alle Vorwürfe erſparen können.

Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm
den Brief; er hatte aber kaum die erſten
Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz
ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf
eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang
liegen. Mignon bemühte ſich um ihn. In¬
deſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und
zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe
nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas.
Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm
war genöthigt ſie zweymal zu hören. »Wenn
dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo be¬
daure Deine unglückliche Geliebte, Deine
Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe,
deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,

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[144/0148] Brief. Hier ſind Marianens letzte Worte, ſagte ſie. Sie iſt todt! rief er aus. Todt! ſagte die Alte; möchte ich Ihnen doch alle Vorwürfe erſparen können. Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm den Brief; er hatte aber kaum die erſten Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang liegen. Mignon bemühte ſich um ihn. In¬ deſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas. Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm war genöthigt ſie zweymal zu hören. »Wenn dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo be¬ daure Deine unglückliche Geliebte, Deine Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe, deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe, iſt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/148>, abgerufen am 22.05.2024.