mir das Abentheuer mehr als billig auf dem Herzen lag, ich faßte daher den Entschluß nochmals hinzureiten, und die Person wirk¬ lich zu sehen, deren verjüngtes Bild mir eine so angenehme Illusion gemacht hatte. Ich stieg schon in einiger Entfernung vom Hause ab, und ließ die Pferde bey Seite führen, um die Kinder nicht zu stöhren, die vor dem Thore spielten. Ich ging in das Haus, und von ohngefähr kam sie mir entgegen, denn sie war es selbst, und ich erkannte sie ohn¬ geachtet der großen Veränderung wieder. Sie war stärker geworden, und schien größer zu seyn; ihre Anmuth blickte durch ein ge¬ setztes Wesen hindurch, und ihre Munterkeit war in ein stilles Nachdenken übergegangen. Ihr Kopf, den sie sonst so leicht und frey trug, hing ein wenig gesenkt, und leise Fal¬ ten waren über ihre Stirne gezogen.
Sie schlug die Augen nieder, als sie mich
mir das Abentheuer mehr als billig auf dem Herzen lag, ich faßte daher den Entſchluß nochmals hinzureiten, und die Perſon wirk¬ lich zu ſehen, deren verjüngtes Bild mir eine ſo angenehme Illuſion gemacht hatte. Ich ſtieg ſchon in einiger Entfernung vom Hauſe ab, und ließ die Pferde bey Seite führen, um die Kinder nicht zu ſtöhren, die vor dem Thore ſpielten. Ich ging in das Haus, und von ohngefähr kam ſie mir entgegen, denn ſie war es ſelbſt, und ich erkannte ſie ohn¬ geachtet der großen Veränderung wieder. Sie war ſtärker geworden, und ſchien größer zu ſeyn; ihre Anmuth blickte durch ein ge¬ ſetztes Weſen hindurch, und ihre Munterkeit war in ein ſtilles Nachdenken übergegangen. Ihr Kopf, den ſie ſonſt ſo leicht und frey trug, hing ein wenig geſenkt, und leiſe Fal¬ ten waren über ihre Stirne gezogen.
Sie ſchlug die Augen nieder, als ſie mich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0141"n="137"/>
mir das Abentheuer mehr als billig auf dem<lb/>
Herzen lag, ich faßte daher den Entſchluß<lb/>
nochmals hinzureiten, und die Perſon wirk¬<lb/>
lich zu ſehen, deren verjüngtes Bild mir eine<lb/>ſo angenehme Illuſion gemacht hatte. Ich<lb/>ſtieg ſchon in einiger Entfernung vom Hauſe<lb/>
ab, und ließ die Pferde bey Seite führen,<lb/>
um die Kinder nicht zu ſtöhren, die vor dem<lb/>
Thore ſpielten. Ich ging in das Haus, und<lb/>
von ohngefähr kam ſie mir entgegen, denn<lb/>ſie war es ſelbſt, und ich erkannte ſie ohn¬<lb/>
geachtet der großen Veränderung wieder.<lb/>
Sie war ſtärker geworden, und ſchien größer<lb/>
zu ſeyn; ihre Anmuth blickte durch ein ge¬<lb/>ſetztes Weſen hindurch, und ihre Munterkeit<lb/>
war in ein ſtilles Nachdenken übergegangen.<lb/>
Ihr Kopf, den ſie ſonſt ſo leicht und frey<lb/>
trug, hing ein wenig geſenkt, und leiſe Fal¬<lb/>
ten waren über ihre Stirne gezogen.</p><lb/><p>Sie ſchlug die Augen nieder, als ſie mich<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[137/0141]
mir das Abentheuer mehr als billig auf dem
Herzen lag, ich faßte daher den Entſchluß
nochmals hinzureiten, und die Perſon wirk¬
lich zu ſehen, deren verjüngtes Bild mir eine
ſo angenehme Illuſion gemacht hatte. Ich
ſtieg ſchon in einiger Entfernung vom Hauſe
ab, und ließ die Pferde bey Seite führen,
um die Kinder nicht zu ſtöhren, die vor dem
Thore ſpielten. Ich ging in das Haus, und
von ohngefähr kam ſie mir entgegen, denn
ſie war es ſelbſt, und ich erkannte ſie ohn¬
geachtet der großen Veränderung wieder.
Sie war ſtärker geworden, und ſchien größer
zu ſeyn; ihre Anmuth blickte durch ein ge¬
ſetztes Weſen hindurch, und ihre Munterkeit
war in ein ſtilles Nachdenken übergegangen.
Ihr Kopf, den ſie ſonſt ſo leicht und frey
trug, hing ein wenig geſenkt, und leiſe Fal¬
ten waren über ihre Stirne gezogen.
Sie ſchlug die Augen nieder, als ſie mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/141>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.