mit jener konnte ich ein heitres Leben hof¬ fen, da bey dieser auch nicht an eine glück¬ liche Stunde zu denken war.
Ich leugne nicht, versetzte Wilhelm, daß ich mit großer Bitterkeit im Herzen gegen Sie hierher gekommen bin, und daß ich mir vorgenommen hatte, Ihr Betragen gegen Aurelien sehr streng zu tadeln.
Auch verdient es Tadel, versetzte Lotha¬ rio, ich hätte meine Freundschaft zu ihr nicht mit dem Gefühl der Liebe verwechseln sollen, ich hätte nicht an die Stelle der Achtung, die sie verdiente, eine Neigung eindrängen sollen, die sie weder erregen, noch erhalten konnte. Ach! sie war nicht liebenswürdig, wenn sie liebte, und das ist das größte Un¬ glück, das einem Weibe begegnen kann.
Es sey drum, versetzte Wilhelm, wir kön¬ nen nicht immer das Tadelnswerthe vermei¬ den, nicht vermeiden, daß unsere Gesinnun¬
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mit jener konnte ich ein heitres Leben hof¬ fen, da bey dieſer auch nicht an eine glück¬ liche Stunde zu denken war.
Ich leugne nicht, verſetzte Wilhelm, daß ich mit großer Bitterkeit im Herzen gegen Sie hierher gekommen bin, und daß ich mir vorgenommen hatte, Ihr Betragen gegen Aurelien ſehr ſtreng zu tadeln.
Auch verdient es Tadel, verſetzte Lotha¬ rio, ich hätte meine Freundſchaft zu ihr nicht mit dem Gefühl der Liebe verwechſeln ſollen, ich hätte nicht an die Stelle der Achtung, die ſie verdiente, eine Neigung eindrängen ſollen, die ſie weder erregen, noch erhalten konnte. Ach! ſie war nicht liebenswürdig, wenn ſie liebte, und das iſt das größte Un¬ glück, das einem Weibe begegnen kann.
Es ſey drum, verſetzte Wilhelm, wir kön¬ nen nicht immer das Tadelnswerthe vermei¬ den, nicht vermeiden, daß unſere Geſinnun¬
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mit jener konnte ich ein heitres Leben hof¬
fen, da bey dieſer auch nicht an eine glück¬
liche Stunde zu denken war.
Ich leugne nicht, verſetzte Wilhelm, daß
ich mit großer Bitterkeit im Herzen gegen
Sie hierher gekommen bin, und daß ich mir
vorgenommen hatte, Ihr Betragen gegen
Aurelien ſehr ſtreng zu tadeln.
Auch verdient es Tadel, verſetzte Lotha¬
rio, ich hätte meine Freundſchaft zu ihr nicht
mit dem Gefühl der Liebe verwechſeln ſollen,
ich hätte nicht an die Stelle der Achtung,
die ſie verdiente, eine Neigung eindrängen
ſollen, die ſie weder erregen, noch erhalten
konnte. Ach! ſie war nicht liebenswürdig,
wenn ſie liebte, und das iſt das größte Un¬
glück, das einem Weibe begegnen kann.
Es ſey drum, verſetzte Wilhelm, wir kön¬
nen nicht immer das Tadelnswerthe vermei¬
den, nicht vermeiden, daß unſere Geſinnun¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/135>, abgerufen am 23.11.2024.
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