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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Wie können wir aber an dieser unschätz¬
baren Wohlthat Theil nehmen? Durch den
Glauben, antwortet uns die Schrift. Was
ist denn Glauben? Die Erzählung einer
Begebenheit für wahr zu halten, was kann
mir das helfen? ich muß mir ihre Wirkun¬
gen, ihre Folgen zueignen können. Dieser
zueignende Glaube muß ein eigener, dem
natürlichen Menschen ungewöhnlicher Zu¬
stand des Gemüths seyn.

Nun, Allmächtiger! so schenke mir Glau¬
ben, flehte ich einst in dem größten Druck
des Herzens. Ich lehnte mich auf einen
kleinen Tisch, an dem ich saß, und verbarg
mein bethräntes Gesicht in meinen Händen.
Hier war ich in der Lage, in der man seyn
muß, wenn Gott auf unser Gebet achten
soll, und in der man selten ist.

Ja wer nun schildern könnte, was ich
da fühlte. Ein Zug brachte meine Seele

Wie können wir aber an dieſer unſchätz¬
baren Wohlthat Theil nehmen? Durch den
Glauben, antwortet uns die Schrift. Was
iſt denn Glauben? Die Erzählung einer
Begebenheit für wahr zu halten, was kann
mir das helfen? ich muß mir ihre Wirkun¬
gen, ihre Folgen zueignen können. Dieſer
zueignende Glaube muß ein eigener, dem
natürlichen Menſchen ungewöhnlicher Zu¬
ſtand des Gemüths ſeyn.

Nun, Allmächtiger! ſo ſchenke mir Glau¬
ben, flehte ich einſt in dem größten Druck
des Herzens. Ich lehnte mich auf einen
kleinen Tiſch, an dem ich ſaß, und verbarg
mein bethräntes Geſicht in meinen Händen.
Hier war ich in der Lage, in der man ſeyn
muß, wenn Gott auf unſer Gebet achten
ſoll, und in der man ſelten iſt.

Ja wer nun ſchildern könnte, was ich
da fühlte. Ein Zug brachte meine Seele

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[302/0308] Wie können wir aber an dieſer unſchätz¬ baren Wohlthat Theil nehmen? Durch den Glauben, antwortet uns die Schrift. Was iſt denn Glauben? Die Erzählung einer Begebenheit für wahr zu halten, was kann mir das helfen? ich muß mir ihre Wirkun¬ gen, ihre Folgen zueignen können. Dieſer zueignende Glaube muß ein eigener, dem natürlichen Menſchen ungewöhnlicher Zu¬ ſtand des Gemüths ſeyn. Nun, Allmächtiger! ſo ſchenke mir Glau¬ ben, flehte ich einſt in dem größten Druck des Herzens. Ich lehnte mich auf einen kleinen Tiſch, an dem ich ſaß, und verbarg mein bethräntes Geſicht in meinen Händen. Hier war ich in der Lage, in der man ſeyn muß, wenn Gott auf unſer Gebet achten ſoll, und in der man ſelten iſt. Ja wer nun ſchildern könnte, was ich da fühlte. Ein Zug brachte meine Seele

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/308>, abgerufen am 26.05.2024.