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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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überzeugen und wäre um mein Leben gern
traurig und voll Schrecken gewesen. Wie
verwundert war ich aber, da es ein für alle¬
mal nicht möglich war. Wenn ich an Gott
dachte, war ich heiter und vergnügt, auch
bey meiner lieben Mutter schmerzensvollen
Ende graute mich vor dem Tode nicht. Doch
lernte ich vieles und ganz andre Sachen, als
meine unberufenen Lehrmeister glaubten, in
diesen großen Stunden.

Nach und nach ward ich an den Einsich¬
ten so mancher hochberühmten Leute zweifel¬
haft und bewahrte meine Gesinnungen in
der Stille. Eine gewisse Freundin, der ich
erst zu viel eingeräumt hatte, wollte sich im¬
mer in meine Angelegenheiten mengen; auch
von dieser war ich genöthigt mich los zu ma¬
chen, und einst sagte ich ihr ganz entschieden:
sie sollte ohne Mühe bleiben, ich brauchte
ihren Rath nicht; ich kannte meinen Gott

W. Meisters Lehrj. 3. T

überzeugen und wäre um mein Leben gern
traurig und voll Schrecken geweſen. Wie
verwundert war ich aber, da es ein für alle¬
mal nicht möglich war. Wenn ich an Gott
dachte, war ich heiter und vergnügt, auch
bey meiner lieben Mutter ſchmerzensvollen
Ende graute mich vor dem Tode nicht. Doch
lernte ich vieles und ganz andre Sachen, als
meine unberufenen Lehrmeiſter glaubten, in
dieſen großen Stunden.

Nach und nach ward ich an den Einſich¬
ten ſo mancher hochberühmten Leute zweifel¬
haft und bewahrte meine Geſinnungen in
der Stille. Eine gewiſſe Freundin, der ich
erſt zu viel eingeräumt hatte, wollte ſich im¬
mer in meine Angelegenheiten mengen; auch
von dieſer war ich genöthigt mich los zu ma¬
chen, und einſt ſagte ich ihr ganz entſchieden:
ſie ſollte ohne Mühe bleiben, ich brauchte
ihren Rath nicht; ich kannte meinen Gott

W. Meiſters Lehrj. 3. T
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[298[289]/0295] überzeugen und wäre um mein Leben gern traurig und voll Schrecken geweſen. Wie verwundert war ich aber, da es ein für alle¬ mal nicht möglich war. Wenn ich an Gott dachte, war ich heiter und vergnügt, auch bey meiner lieben Mutter ſchmerzensvollen Ende graute mich vor dem Tode nicht. Doch lernte ich vieles und ganz andre Sachen, als meine unberufenen Lehrmeiſter glaubten, in dieſen großen Stunden. Nach und nach ward ich an den Einſich¬ ten ſo mancher hochberühmten Leute zweifel¬ haft und bewahrte meine Geſinnungen in der Stille. Eine gewiſſe Freundin, der ich erſt zu viel eingeräumt hatte, wollte ſich im¬ mer in meine Angelegenheiten mengen; auch von dieſer war ich genöthigt mich los zu ma¬ chen, und einſt ſagte ich ihr ganz entſchieden: ſie ſollte ohne Mühe bleiben, ich brauchte ihren Rath nicht; ich kannte meinen Gott W. Meiſters Lehrj. 3. T

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 298[289]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/295>, abgerufen am 21.05.2024.