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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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gestand ich meinen Wunsch, Narciß möchte
zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte
war nicht ungestüm, und ich forderte nicht,
daß es um meines Gebets willen geschehen
sollte.

Die Stelle ward durch einen viel gerin¬
geren Concurrenten besetzt. Ich erschrak hef¬
tig über die Zeitung, und eilte in mein
Zimmer, das ich fest hinter mir zumachte.
Der erste Schmerz löste sich in Thränen auf,
der nächste Gedanke war: es ist aber doch
nicht von ohngefähr geschehen, und sogleich
folgte die Entschließung, es mir recht wohl
gefallen zu lassen, weil auch dieses anschei¬
nende Übel zu meinem wahren Besten gerei¬
chen würde. Nun drangen die sanftesten
Empfindungen, die alle Wolken des Kum¬
mers zertheilten, herbey; ich fühlte, daß sich
mit dieser Hülfe alles ausstehn ließ. Ich
ging heiter zu Tische zum größten Erstaunen
meiner Hausgenossen.

geſtand ich meinen Wunſch, Narciß möchte
zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte
war nicht ungeſtüm, und ich forderte nicht,
daß es um meines Gebets willen geſchehen
ſollte.

Die Stelle ward durch einen viel gerin¬
geren Concurrenten beſetzt. Ich erſchrak hef¬
tig über die Zeitung, und eilte in mein
Zimmer, das ich feſt hinter mir zumachte.
Der erſte Schmerz löſte ſich in Thränen auf,
der nächſte Gedanke war: es iſt aber doch
nicht von ohngefähr geſchehen, und ſogleich
folgte die Entſchließung, es mir recht wohl
gefallen zu laſſen, weil auch dieſes anſchei¬
nende Übel zu meinem wahren Beſten gerei¬
chen würde. Nun drangen die ſanfteſten
Empfindungen, die alle Wolken des Kum¬
mers zertheilten, herbey; ich fühlte, daß ſich
mit dieſer Hülfe alles ausſtehn ließ. Ich
ging heiter zu Tiſche zum größten Erſtaunen
meiner Hausgenoſſen.

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[255/0261] geſtand ich meinen Wunſch, Narciß möchte zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte war nicht ungeſtüm, und ich forderte nicht, daß es um meines Gebets willen geſchehen ſollte. Die Stelle ward durch einen viel gerin¬ geren Concurrenten beſetzt. Ich erſchrak hef¬ tig über die Zeitung, und eilte in mein Zimmer, das ich feſt hinter mir zumachte. Der erſte Schmerz löſte ſich in Thränen auf, der nächſte Gedanke war: es iſt aber doch nicht von ohngefähr geſchehen, und ſogleich folgte die Entſchließung, es mir recht wohl gefallen zu laſſen, weil auch dieſes anſchei¬ nende Übel zu meinem wahren Beſten gerei¬ chen würde. Nun drangen die ſanfteſten Empfindungen, die alle Wolken des Kum¬ mers zertheilten, herbey; ich fühlte, daß ſich mit dieſer Hülfe alles ausſtehn ließ. Ich ging heiter zu Tiſche zum größten Erſtaunen meiner Hausgenoſſen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/261>, abgerufen am 22.05.2024.