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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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tugendhaften Gattin, was Tugend sey, am
sichersten erfahren würde.

Dieses Gedicht ward mir vor allen und
dann aber auch fast jederman gezeigt, und
jeder dachte dabey was er wollte. So ging
es in mehreren Fällen und so mußten alle
Fremden, die er schätzte, in unserm Hause be¬
kannt werden.

Eine gräfliche Familie hielt sich wegen
unsres geschickten Arztes eine Zeitlang hier
auf. Auch in diesem Hause war Narciß
wie ein Sohn gehalten; er führte mich da¬
selbst ein, man fand bey diesen würdigen
Personen eine angenehme Unterhaltung für
Geist und Herz, und selbst die gewöhnlichen
Zeitvertreibe der Gesellschaft schienen in die¬
sem Hause nicht so leer wie anderwärts.
Jedermann wußte wie wir zusammen stan¬
den, man behandelte uns, wie es die Um¬
stände mit sich brachten, und ließ das Haupt¬

tugendhaften Gattin, was Tugend ſey, am
ſicherſten erfahren würde.

Dieſes Gedicht ward mir vor allen und
dann aber auch faſt jederman gezeigt, und
jeder dachte dabey was er wollte. So ging
es in mehreren Fällen und ſo mußten alle
Fremden, die er ſchätzte, in unſerm Hauſe be¬
kannt werden.

Eine gräfliche Familie hielt ſich wegen
unſres geſchickten Arztes eine Zeitlang hier
auf. Auch in dieſem Hauſe war Narciß
wie ein Sohn gehalten; er führte mich da¬
ſelbſt ein, man fand bey dieſen würdigen
Perſonen eine angenehme Unterhaltung für
Geiſt und Herz, und ſelbſt die gewöhnlichen
Zeitvertreibe der Geſellſchaft ſchienen in die¬
ſem Hauſe nicht ſo leer wie anderwärts.
Jedermann wußte wie wir zuſammen ſtan¬
den, man behandelte uns, wie es die Um¬
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[253/0259] tugendhaften Gattin, was Tugend ſey, am ſicherſten erfahren würde. Dieſes Gedicht ward mir vor allen und dann aber auch faſt jederman gezeigt, und jeder dachte dabey was er wollte. So ging es in mehreren Fällen und ſo mußten alle Fremden, die er ſchätzte, in unſerm Hauſe be¬ kannt werden. Eine gräfliche Familie hielt ſich wegen unſres geſchickten Arztes eine Zeitlang hier auf. Auch in dieſem Hauſe war Narciß wie ein Sohn gehalten; er führte mich da¬ ſelbſt ein, man fand bey dieſen würdigen Perſonen eine angenehme Unterhaltung für Geiſt und Herz, und ſelbſt die gewöhnlichen Zeitvertreibe der Geſellſchaft ſchienen in die¬ ſem Hauſe nicht ſo leer wie anderwärts. Jedermann wußte wie wir zuſammen ſtan¬ den, man behandelte uns, wie es die Um¬ ſtände mit ſich brachten, und ließ das Haupt¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/259>, abgerufen am 21.05.2024.