Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

vorgegangen war, unterrichtet schien. Er
glich völlig dem gemahlten Bilde als wenn
er dem Künstler gestanden hätte, und die
Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen,
wie schauerlich es ausgesehen habe, als er
unfern von dem Gemählde hervorgetreten
und vor seinem Ebenbilde vorbey geschritten
sey. Wahrheit und Irrthum habe sich da¬
bey so sonderbar vermischt, und man habe
wirklich sich überzeugt, daß die Königinn
die eine Gestalt nicht sehe. Madam Meli¬
na ward bey dieser Gelegenheit sehr gelobt,
daß sie bei dieser Stelle in die Höhe nach
dem Bilde gestarrt, indeß Hamlet nieder auf
den Geist gewiesen.

Man erkundigte sich wie das Gespenst
habe hereinschleichen können, und erfuhr
vom Theatermeister, daß zu einer hintern
Thüre, die sonst immer mit Dekorationen
verstellt sey, diesen Abend aber, weil man

vorgegangen war, unterrichtet ſchien. Er
glich völlig dem gemahlten Bilde als wenn
er dem Künſtler geſtanden hätte, und die
Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen,
wie ſchauerlich es ausgeſehen habe, als er
unfern von dem Gemählde hervorgetreten
und vor ſeinem Ebenbilde vorbey geſchritten
ſey. Wahrheit und Irrthum habe ſich da¬
bey ſo ſonderbar vermiſcht, und man habe
wirklich ſich überzeugt, daß die Königinn
die eine Geſtalt nicht ſehe. Madam Meli¬
na ward bey dieſer Gelegenheit ſehr gelobt,
daß ſie bei dieſer Stelle in die Höhe nach
dem Bilde geſtarrt, indeß Hamlet nieder auf
den Geiſt gewieſen.

Man erkundigte ſich wie das Geſpenſt
habe hereinſchleichen können, und erfuhr
vom Theatermeiſter, daß zu einer hintern
Thüre, die ſonſt immer mit Dekorationen
verſtellt ſey, dieſen Abend aber, weil man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="120"/>
vorgegangen war, unterrichtet &#x017F;chien. Er<lb/>
glich völlig dem gemahlten Bilde als wenn<lb/>
er dem Kün&#x017F;tler ge&#x017F;tanden hätte, und die<lb/>
Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen,<lb/>
wie &#x017F;chauerlich es ausge&#x017F;ehen habe, als er<lb/>
unfern von dem Gemählde hervorgetreten<lb/>
und vor &#x017F;einem Ebenbilde vorbey ge&#x017F;chritten<lb/>
&#x017F;ey. Wahrheit und Irrthum habe &#x017F;ich da¬<lb/>
bey &#x017F;o &#x017F;onderbar vermi&#x017F;cht, und man habe<lb/>
wirklich &#x017F;ich überzeugt, daß die Königinn<lb/>
die eine Ge&#x017F;talt nicht &#x017F;ehe. Madam Meli¬<lb/>
na ward bey die&#x017F;er Gelegenheit &#x017F;ehr gelobt,<lb/>
daß &#x017F;ie bei die&#x017F;er Stelle in die Höhe nach<lb/>
dem Bilde ge&#x017F;tarrt, indeß Hamlet nieder auf<lb/>
den Gei&#x017F;t gewie&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Man erkundigte &#x017F;ich wie das Ge&#x017F;pen&#x017F;t<lb/>
habe herein&#x017F;chleichen können, und erfuhr<lb/>
vom Theatermei&#x017F;ter, daß zu einer hintern<lb/>
Thüre, die &#x017F;on&#x017F;t immer mit Dekorationen<lb/>
ver&#x017F;tellt &#x017F;ey, die&#x017F;en Abend aber, weil man<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0126] vorgegangen war, unterrichtet ſchien. Er glich völlig dem gemahlten Bilde als wenn er dem Künſtler geſtanden hätte, und die Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen, wie ſchauerlich es ausgeſehen habe, als er unfern von dem Gemählde hervorgetreten und vor ſeinem Ebenbilde vorbey geſchritten ſey. Wahrheit und Irrthum habe ſich da¬ bey ſo ſonderbar vermiſcht, und man habe wirklich ſich überzeugt, daß die Königinn die eine Geſtalt nicht ſehe. Madam Meli¬ na ward bey dieſer Gelegenheit ſehr gelobt, daß ſie bei dieſer Stelle in die Höhe nach dem Bilde geſtarrt, indeß Hamlet nieder auf den Geiſt gewieſen. Man erkundigte ſich wie das Geſpenſt habe hereinſchleichen können, und erfuhr vom Theatermeiſter, daß zu einer hintern Thüre, die ſonſt immer mit Dekorationen verſtellt ſey, dieſen Abend aber, weil man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/126
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/126>, abgerufen am 21.11.2024.