Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.Er versorgte mich mit allen Schriften, Ich gewann ihn unbeschreiblich lieb. Er verſorgte mich mit allen Schriften, Ich gewann ihn unbeſchreiblich lieb. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0317" n="311"/> <p>Er verſorgte mich mit allen Schriften,<lb/> die ich nur verlangte, und nun hatte ich<lb/> überflüßige Nahrung für meine Einbildungs¬<lb/> kraft. Ich machte große Fortſchritte in der<lb/> Zinzendorfiſchen Art zu denken und zu ſpre¬<lb/> chen. Man glaube nicht, daß ich die Art<lb/> und Weiſe des Grafen nicht auch gegenwär¬<lb/> tig zu ſchätzen wiſſe, ich laſſe ihm gern Ge¬<lb/> rechtigkeit wiederfahren; er iſt kein leerer<lb/> Phantaſt; er ſpricht von großen Wahrhei¬<lb/> ten meiſt mit einem kühnen Fluge der Ein¬<lb/> bildungskraft, und die ihn geſchmäht haben,<lb/> wußten ſeine Eigenſchaften weder zu ſchät¬<lb/> zen, noch zu unterſcheiden.</p><lb/> <p>Ich gewann ihn unbeſchreiblich lieb.<lb/> Wäre ich mein eigner Herr geweſen, ſo hätte<lb/> ich gewiß Vaterland und Freunde verlaſſen,<lb/> wäre zu ihm gezogen; unfehlbar hätten<lb/> wir uns verſtanden und ſchwerlich hätten<lb/> wir uns lange vertragen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [311/0317]
Er verſorgte mich mit allen Schriften,
die ich nur verlangte, und nun hatte ich
überflüßige Nahrung für meine Einbildungs¬
kraft. Ich machte große Fortſchritte in der
Zinzendorfiſchen Art zu denken und zu ſpre¬
chen. Man glaube nicht, daß ich die Art
und Weiſe des Grafen nicht auch gegenwär¬
tig zu ſchätzen wiſſe, ich laſſe ihm gern Ge¬
rechtigkeit wiederfahren; er iſt kein leerer
Phantaſt; er ſpricht von großen Wahrhei¬
ten meiſt mit einem kühnen Fluge der Ein¬
bildungskraft, und die ihn geſchmäht haben,
wußten ſeine Eigenſchaften weder zu ſchät¬
zen, noch zu unterſcheiden.
Ich gewann ihn unbeſchreiblich lieb.
Wäre ich mein eigner Herr geweſen, ſo hätte
ich gewiß Vaterland und Freunde verlaſſen,
wäre zu ihm gezogen; unfehlbar hätten
wir uns verſtanden und ſchwerlich hätten
wir uns lange vertragen.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/317>, abgerufen am 06.08.2024. |