Dank sey meinem Genius, der mich da¬ mals in meiner häuslichen Verfassung so ein¬ geschränkt hielt! Es war schon eine große Reise, wenn ich nur in den Hausgarten ge¬ hen konnte. Die Pflege meines alten und schwächlichen Vaters machte mir Arbeit ge¬ nug, und in den Ergötzungsstunden war die edle Phantasie mein Zeitvertreib. Der ein¬ zige Mensch, den ich sah, war Philo, den mein Vater sehr liebte, dessen offnes Verhält¬ niß zu mir aber durch die letzte Erklärung einigermaßen gelitten hatte. Bey ihm war die Rührung nicht tief gedrungen, und da ihm einige Versuche, in meiner Sprache zu reden, nicht gelungen waren, so vermied er diese Materie um so leichter, als er durch seine ausgebreiteten Kenntnisse immer neue Gegenstände des Gesprächs herbey zu führen wußte.
Ich war also eine herrnhuthische Schwe¬
Dank ſey meinem Genius, der mich da¬ mals in meiner häuslichen Verfaſſung ſo ein¬ geſchränkt hielt! Es war ſchon eine große Reiſe, wenn ich nur in den Hausgarten ge¬ hen konnte. Die Pflege meines alten und ſchwächlichen Vaters machte mir Arbeit ge¬ nug, und in den Ergötzungsſtunden war die edle Phantaſie mein Zeitvertreib. Der ein¬ zige Menſch, den ich ſah, war Philo, den mein Vater ſehr liebte, deſſen offnes Verhält¬ niß zu mir aber durch die letzte Erklärung einigermaßen gelitten hatte. Bey ihm war die Rührung nicht tief gedrungen, und da ihm einige Verſuche, in meiner Sprache zu reden, nicht gelungen waren, ſo vermied er dieſe Materie um ſo leichter, als er durch ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe immer neue Gegenſtände des Geſprächs herbey zu führen wußte.
Ich war alſo eine herrnhuthiſche Schwe¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0318"n="312"/><p>Dank ſey meinem Genius, der mich da¬<lb/>
mals in meiner häuslichen Verfaſſung ſo ein¬<lb/>
geſchränkt hielt! Es war ſchon eine große<lb/>
Reiſe, wenn ich nur in den Hausgarten ge¬<lb/>
hen konnte. Die Pflege meines alten und<lb/>ſchwächlichen Vaters machte mir Arbeit ge¬<lb/>
nug, und in den Ergötzungsſtunden war die<lb/>
edle Phantaſie mein Zeitvertreib. Der ein¬<lb/>
zige Menſch, den ich ſah, war Philo, den<lb/>
mein Vater ſehr liebte, deſſen offnes Verhält¬<lb/>
niß zu mir aber durch die letzte Erklärung<lb/>
einigermaßen gelitten hatte. Bey ihm war<lb/>
die Rührung nicht tief gedrungen, und da<lb/>
ihm einige Verſuche, in meiner Sprache zu<lb/>
reden, nicht gelungen waren, ſo vermied er<lb/>
dieſe Materie um ſo leichter, als er durch<lb/>ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe immer neue<lb/>
Gegenſtände des Geſprächs herbey zu führen<lb/>
wußte.<lb/></p><p>Ich war alſo eine herrnhuthiſche Schwe¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[312/0318]
Dank ſey meinem Genius, der mich da¬
mals in meiner häuslichen Verfaſſung ſo ein¬
geſchränkt hielt! Es war ſchon eine große
Reiſe, wenn ich nur in den Hausgarten ge¬
hen konnte. Die Pflege meines alten und
ſchwächlichen Vaters machte mir Arbeit ge¬
nug, und in den Ergötzungsſtunden war die
edle Phantaſie mein Zeitvertreib. Der ein¬
zige Menſch, den ich ſah, war Philo, den
mein Vater ſehr liebte, deſſen offnes Verhält¬
niß zu mir aber durch die letzte Erklärung
einigermaßen gelitten hatte. Bey ihm war
die Rührung nicht tief gedrungen, und da
ihm einige Verſuche, in meiner Sprache zu
reden, nicht gelungen waren, ſo vermied er
dieſe Materie um ſo leichter, als er durch
ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe immer neue
Gegenſtände des Geſprächs herbey zu führen
wußte.
Ich war alſo eine herrnhuthiſche Schwe¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/318>, abgerufen am 05.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.