sen die Dinge, aus denen sie gemacht ist? Wie sehen sie aus? Wie heißen sie? Aber die Erzählungen meiner Tante waren auch nicht auf einen Stein gefallen. Ich dachte mich in schöne Kleider und begegnete den al¬ lerliebsten Prinzen, die nicht ruhen noch ra¬ sten konnten, bis sie wußten, wer die unbe¬ kannte Schöne war. Ein ähnliches Aben¬ theuer mit einem reizenden kleinen Engel, der im weißen Gewand und goldnen Flü¬ geln sich sehr um mich bemühte, setzte ich so lange fort, daß meine Einbildungskraft sein Bild fast bis zur Erscheinung erhöhte.
Nach Jahresfrist war ich ziemlich wieder hergestellt; aber es war mir aus der Kind¬ heit nichts Wildes übrig geblieben. Ich konnte nicht einmal mit Puppen spielen, ich verlangte nach Wesen, die meine Liebe erwie¬ derten. Hunde, Katzen und Vögel, derglei¬ chen mein Vater von allen Arten ernährte,
ſen die Dinge, aus denen ſie gemacht iſt? Wie ſehen ſie aus? Wie heißen ſie? Aber die Erzählungen meiner Tante waren auch nicht auf einen Stein gefallen. Ich dachte mich in ſchöne Kleider und begegnete den al¬ lerliebſten Prinzen, die nicht ruhen noch ra¬ ſten konnten, bis ſie wußten, wer die unbe¬ kannte Schöne war. Ein ähnliches Aben¬ theuer mit einem reizenden kleinen Engel, der im weißen Gewand und goldnen Flü¬ geln ſich ſehr um mich bemühte, ſetzte ich ſo lange fort, daß meine Einbildungskraft ſein Bild faſt bis zur Erſcheinung erhöhte.
Nach Jahresfriſt war ich ziemlich wieder hergeſtellt; aber es war mir aus der Kind¬ heit nichts Wildes übrig geblieben. Ich konnte nicht einmal mit Puppen ſpielen, ich verlangte nach Weſen, die meine Liebe erwie¬ derten. Hunde, Katzen und Vögel, derglei¬ chen mein Vater von allen Arten ernährte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0216"n="210"/>ſen die Dinge, aus denen ſie gemacht iſt?<lb/>
Wie ſehen ſie aus? Wie heißen ſie? Aber<lb/>
die Erzählungen meiner Tante waren auch<lb/>
nicht auf einen Stein gefallen. Ich dachte<lb/>
mich in ſchöne Kleider und begegnete den al¬<lb/>
lerliebſten Prinzen, die nicht ruhen noch ra¬<lb/>ſten konnten, bis ſie wußten, wer die unbe¬<lb/>
kannte Schöne war. Ein ähnliches Aben¬<lb/>
theuer mit einem reizenden kleinen Engel,<lb/>
der im weißen Gewand und goldnen Flü¬<lb/>
geln ſich ſehr um mich bemühte, ſetzte ich ſo<lb/>
lange fort, daß meine Einbildungskraft ſein<lb/>
Bild faſt bis zur Erſcheinung erhöhte.</p><lb/><p>Nach Jahresfriſt war ich ziemlich wieder<lb/>
hergeſtellt; aber es war mir aus der Kind¬<lb/>
heit nichts Wildes übrig geblieben. Ich<lb/>
konnte nicht einmal mit Puppen ſpielen, ich<lb/>
verlangte nach Weſen, die meine Liebe erwie¬<lb/>
derten. Hunde, Katzen und Vögel, derglei¬<lb/>
chen mein Vater von allen Arten ernährte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[210/0216]
ſen die Dinge, aus denen ſie gemacht iſt?
Wie ſehen ſie aus? Wie heißen ſie? Aber
die Erzählungen meiner Tante waren auch
nicht auf einen Stein gefallen. Ich dachte
mich in ſchöne Kleider und begegnete den al¬
lerliebſten Prinzen, die nicht ruhen noch ra¬
ſten konnten, bis ſie wußten, wer die unbe¬
kannte Schöne war. Ein ähnliches Aben¬
theuer mit einem reizenden kleinen Engel,
der im weißen Gewand und goldnen Flü¬
geln ſich ſehr um mich bemühte, ſetzte ich ſo
lange fort, daß meine Einbildungskraft ſein
Bild faſt bis zur Erſcheinung erhöhte.
Nach Jahresfriſt war ich ziemlich wieder
hergeſtellt; aber es war mir aus der Kind¬
heit nichts Wildes übrig geblieben. Ich
konnte nicht einmal mit Puppen ſpielen, ich
verlangte nach Weſen, die meine Liebe erwie¬
derten. Hunde, Katzen und Vögel, derglei¬
chen mein Vater von allen Arten ernährte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/216>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.