Serlo der selbst als Marinelli den Hof¬ mann rein, ohne Karrikatur vorstellte, äußerte über diesen Punkt manchen guten Gedanken. Der vornehme Anstand, sagte er, ist schwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ ist, und eine lange anhaltende Übung voraus¬ setzt. Denn man soll nicht etwa in seinem Benehmen etwas darstellen, das Würde an¬ zeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein förmliches stolzes Wesen, man soll vielmehr nur alles vermeiden, was Unwürdig was Ge¬ mein ist, man soll sich nie vergessen, immer auf sich und andere acht haben, sich nichts vergeben, andern nicht zu viel, nicht zu we¬ nig thun, durch nichts gerührt scheinen, durch nichts bewegt werden, sich niemals übereilen, sich in jedem Momente zu fassen wissen, und so ein äußeres Gleichgewicht erhalten, inner¬ lich mag es stürmen wie es will. Der edle Mensch kann sich in Momenten vernachläs¬
W. Meisters Lehrj. 3. N
Serlo der ſelbſt als Marinelli den Hof¬ mann rein, ohne Karrikatur vorſtellte, äußerte über dieſen Punkt manchen guten Gedanken. Der vornehme Anſtand, ſagte er, iſt ſchwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ iſt, und eine lange anhaltende Übung voraus¬ ſetzt. Denn man ſoll nicht etwa in ſeinem Benehmen etwas darſtellen, das Würde an¬ zeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein förmliches ſtolzes Weſen, man ſoll vielmehr nur alles vermeiden, was Unwürdig was Ge¬ mein iſt, man ſoll ſich nie vergeſſen, immer auf ſich und andere acht haben, ſich nichts vergeben, andern nicht zu viel, nicht zu we¬ nig thun, durch nichts gerührt ſcheinen, durch nichts bewegt werden, ſich niemals übereilen, ſich in jedem Momente zu faſſen wiſſen, und ſo ein äußeres Gleichgewicht erhalten, inner¬ lich mag es ſtürmen wie es will. Der edle Menſch kann ſich in Momenten vernachläſ¬
W. Meiſters Lehrj. 3. N
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Serlo der ſelbſt als Marinelli den Hof¬
mann rein, ohne Karrikatur vorſtellte, äußerte
über dieſen Punkt manchen guten Gedanken.
Der vornehme Anſtand, ſagte er, iſt ſchwer
nachzuahmen, weil er eigentlich negativ iſt,
und eine lange anhaltende Übung voraus¬
ſetzt. Denn man ſoll nicht etwa in ſeinem
Benehmen etwas darſtellen, das Würde an¬
zeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein
förmliches ſtolzes Weſen, man ſoll vielmehr
nur alles vermeiden, was Unwürdig was Ge¬
mein iſt, man ſoll ſich nie vergeſſen, immer
auf ſich und andere acht haben, ſich nichts
vergeben, andern nicht zu viel, nicht zu we¬
nig thun, durch nichts gerührt ſcheinen, durch
nichts bewegt werden, ſich niemals übereilen,
ſich in jedem Momente zu faſſen wiſſen, und
ſo ein äußeres Gleichgewicht erhalten, inner¬
lich mag es ſtürmen wie es will. Der edle
Menſch kann ſich in Momenten vernachläſ¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/199>, abgerufen am 26.12.2024.
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