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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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meine Tochter, und hatte, da meine Frau
noch lebte, den Entschluß gefaßt, sie zu mir
zu nehmen, und sie aus den Händen der
Alten zu retten, von deren Anleitung ich mir
nicht viel Gutes versprach. Meine Frau
starb, das Project zerschlug sich.

Gegen das Ende des Aufenthalts in
Ihrer Vaterstadt, es sind nicht gar drey
Jahre, merkte ich ihr eine sichtbare Traurig¬
keit an; ich fragte sie, aber sie wich aus.
Endlich machten wir uns auf die Reise. Sie
fuhr mit mir in Einem Wagen, und ich be¬
merkte, was sie mir auch bald gestand, daß
sie guter Hoffnung sey, und in der größten
Furcht schwebe, von unserm Director ver¬
stoßen zu werden. Auch dauerte es nur kur¬
ze Zeit, so machte er die Entdeckung, kün¬
digte ihr den Contract, der ohnedies nur
auf sechs Wochen stand, sogleich auf, zahlte
was sie zu fordern hatte, und ließ sie, aller

meine Tochter, und hatte, da meine Frau
noch lebte, den Entſchluß gefaßt, ſie zu mir
zu nehmen, und ſie aus den Händen der
Alten zu retten, von deren Anleitung ich mir
nicht viel Gutes verſprach. Meine Frau
ſtarb, das Project zerſchlug ſich.

Gegen das Ende des Aufenthalts in
Ihrer Vaterſtadt, es ſind nicht gar drey
Jahre, merkte ich ihr eine ſichtbare Traurig¬
keit an; ich fragte ſie, aber ſie wich aus.
Endlich machten wir uns auf die Reiſe. Sie
fuhr mit mir in Einem Wagen, und ich be¬
merkte, was ſie mir auch bald geſtand, daß
ſie guter Hoffnung ſey, und in der größten
Furcht ſchwebe, von unſerm Director ver¬
ſtoßen zu werden. Auch dauerte es nur kur¬
ze Zeit, ſo machte er die Entdeckung, kün¬
digte ihr den Contract, der ohnedies nur
auf ſechs Wochen ſtand, ſogleich auf, zahlte
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[285/0293] meine Tochter, und hatte, da meine Frau noch lebte, den Entſchluß gefaßt, ſie zu mir zu nehmen, und ſie aus den Händen der Alten zu retten, von deren Anleitung ich mir nicht viel Gutes verſprach. Meine Frau ſtarb, das Project zerſchlug ſich. Gegen das Ende des Aufenthalts in Ihrer Vaterſtadt, es ſind nicht gar drey Jahre, merkte ich ihr eine ſichtbare Traurig¬ keit an; ich fragte ſie, aber ſie wich aus. Endlich machten wir uns auf die Reiſe. Sie fuhr mit mir in Einem Wagen, und ich be¬ merkte, was ſie mir auch bald geſtand, daß ſie guter Hoffnung ſey, und in der größten Furcht ſchwebe, von unſerm Director ver¬ ſtoßen zu werden. Auch dauerte es nur kur¬ ze Zeit, ſo machte er die Entdeckung, kün¬ digte ihr den Contract, der ohnedies nur auf ſechs Wochen ſtand, ſogleich auf, zahlte was ſie zu fordern hatte, und ließ ſie, aller

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/293>, abgerufen am 22.11.2024.