Gesellschaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach Marianen zu fragen.
Sagen Sie mir nichts von dem abscheu¬ lichen Geschöpf! rief der Alte, ich habe ver¬ schworen, nicht mehr an sie zu denken. Wil¬ helm erschrak über diese Äußerung, war aber noch in größerer Verlegenheit, als der Alte fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Lieder¬ lichkeit zu schmählen. Wie gern hätte unser Freund das Gespräch abgebrochen; allein er mußte nun einmal die polternden Ergießun¬ gen des wunderlichen Mannes aushalten.
Ich schäme mich, fuhr dieser fort, daß ich ihr so geneigt war. Doch hätten Sie das Mädchen näher gekannt, Sie würden mich gewiß entschuldigen. Sie war so artig, na¬ türlich und gut, so gefällig und in jedem Sinne leidlich. Nie hätt' ich mir vorgestellt, daß Frechheit und Undank die Hauptzüge ihres Characters seyn sollten.
Geſellſchaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach Marianen zu fragen.
Sagen Sie mir nichts von dem abſcheu¬ lichen Geſchöpf! rief der Alte, ich habe ver¬ ſchworen, nicht mehr an ſie zu denken. Wil¬ helm erſchrak über dieſe Äußerung, war aber noch in größerer Verlegenheit, als der Alte fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Lieder¬ lichkeit zu ſchmählen. Wie gern hätte unſer Freund das Geſpräch abgebrochen; allein er mußte nun einmal die polternden Ergießun¬ gen des wunderlichen Mannes aushalten.
Ich ſchäme mich, fuhr dieſer fort, daß ich ihr ſo geneigt war. Doch hätten Sie das Mädchen näher gekannt, Sie würden mich gewiß entſchuldigen. Sie war ſo artig, na¬ türlich und gut, ſo gefällig und in jedem Sinne leidlich. Nie hätt’ ich mir vorgeſtellt, daß Frechheit und Undank die Hauptzüge ihres Characters ſeyn ſollten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0291"n="283"/>
Geſellſchaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach<lb/>
Marianen zu fragen.</p><lb/><p>Sagen Sie mir nichts von dem abſcheu¬<lb/>
lichen Geſchöpf! rief der Alte, ich habe ver¬<lb/>ſchworen, nicht mehr an ſie zu denken. Wil¬<lb/>
helm erſchrak über dieſe Äußerung, war aber<lb/>
noch in größerer Verlegenheit, als der Alte<lb/>
fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Lieder¬<lb/>
lichkeit zu ſchmählen. Wie gern hätte unſer<lb/>
Freund das Geſpräch abgebrochen; allein er<lb/>
mußte nun einmal die polternden Ergießun¬<lb/>
gen des wunderlichen Mannes aushalten.</p><lb/><p>Ich ſchäme mich, fuhr dieſer fort, daß ich<lb/>
ihr ſo geneigt war. Doch hätten Sie das<lb/>
Mädchen näher gekannt, Sie würden mich<lb/>
gewiß entſchuldigen. Sie war ſo artig, na¬<lb/>
türlich und gut, ſo gefällig und in jedem<lb/>
Sinne leidlich. Nie hätt’ ich mir vorgeſtellt,<lb/>
daß Frechheit und Undank die Hauptzüge<lb/>
ihres Characters ſeyn ſollten.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[283/0291]
Geſellſchaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach
Marianen zu fragen.
Sagen Sie mir nichts von dem abſcheu¬
lichen Geſchöpf! rief der Alte, ich habe ver¬
ſchworen, nicht mehr an ſie zu denken. Wil¬
helm erſchrak über dieſe Äußerung, war aber
noch in größerer Verlegenheit, als der Alte
fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Lieder¬
lichkeit zu ſchmählen. Wie gern hätte unſer
Freund das Geſpräch abgebrochen; allein er
mußte nun einmal die polternden Ergießun¬
gen des wunderlichen Mannes aushalten.
Ich ſchäme mich, fuhr dieſer fort, daß ich
ihr ſo geneigt war. Doch hätten Sie das
Mädchen näher gekannt, Sie würden mich
gewiß entſchuldigen. Sie war ſo artig, na¬
türlich und gut, ſo gefällig und in jedem
Sinne leidlich. Nie hätt’ ich mir vorgeſtellt,
daß Frechheit und Undank die Hauptzüge
ihres Characters ſeyn ſollten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/291>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.