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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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te, ging, und an der Ecke noch einmal zurück
sah, kam es ihm vor, als wenn Marianens
Thüre sich öffnete, und eine dunkle Gestalt
sich heraus bewegte. Er war zu weit, um
deutlich zu sehen, und eh er sich faßte und
recht aufsah, hatte sich die Erscheinung schon
in der Nacht verloren, nur ganz weit glaub¬
te er sie wieder an einem weißen Hause vor¬
bey streifen zu sehen. Er stund und blinzte,
und ehe er sich ermannte und nacheilte, war
das Phantom verschwunden. Wohin sollt'
er ihm folgen? Welche Straße hatte den
Menschen aufgenommen, wenn es einer war?

Wie einer, dem der Blitz die Gegend in
einem Winkel erhellte, gleich darauf mit ge¬
blendeten Augen die vorigen Gestalten, den
Zusammenhang der Pfade in der Finsterniß
vergebens sucht, so war's vor seinen Augen,
so war's in seinem Herzen. Und wie ein
Gespenst der Mitternacht, das ungeheure

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te, ging, und an der Ecke noch einmal zurück
ſah, kam es ihm vor, als wenn Marianens
Thüre ſich öffnete, und eine dunkle Geſtalt
ſich heraus bewegte. Er war zu weit, um
deutlich zu ſehen, und eh er ſich faßte und
recht aufſah, hatte ſich die Erſcheinung ſchon
in der Nacht verloren, nur ganz weit glaub¬
te er ſie wieder an einem weißen Hauſe vor¬
bey ſtreifen zu ſehen. Er ſtund und blinzte,
und ehe er ſich ermannte und nacheilte, war
das Phantom verſchwunden. Wohin ſollt’
er ihm folgen? Welche Straße hatte den
Menſchen aufgenommen, wenn es einer war?

Wie einer, dem der Blitz die Gegend in
einem Winkel erhellte, gleich darauf mit ge¬
blendeten Augen die vorigen Geſtalten, den
Zuſammenhang der Pfade in der Finſterniß
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ſo war’s in ſeinem Herzen. Und wie ein
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[179/0187] te, ging, und an der Ecke noch einmal zurück ſah, kam es ihm vor, als wenn Marianens Thüre ſich öffnete, und eine dunkle Geſtalt ſich heraus bewegte. Er war zu weit, um deutlich zu ſehen, und eh er ſich faßte und recht aufſah, hatte ſich die Erſcheinung ſchon in der Nacht verloren, nur ganz weit glaub¬ te er ſie wieder an einem weißen Hauſe vor¬ bey ſtreifen zu ſehen. Er ſtund und blinzte, und ehe er ſich ermannte und nacheilte, war das Phantom verſchwunden. Wohin ſollt’ er ihm folgen? Welche Straße hatte den Menſchen aufgenommen, wenn es einer war? Wie einer, dem der Blitz die Gegend in einem Winkel erhellte, gleich darauf mit ge¬ blendeten Augen die vorigen Geſtalten, den Zuſammenhang der Pfade in der Finſterniß vergebens ſucht, ſo war’s vor ſeinen Augen, ſo war’s in ſeinem Herzen. Und wie ein Geſpenſt der Mitternacht, das ungeheure M 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/187>, abgerufen am 08.05.2024.