cher und Strohhüte, keines verschmähte die Nachbarschaft des andern, alle waren durch ein gemeinschaftliches Element, durch Puder und Staub, vereinigt. Jedoch da Wilhelm in ihrer Gegenwart wenig von allem andern bemerkte, ja vielmehr ihm alles, was ihr ge¬ hörte, sie berührt hatte, lieb werden mußte; so fand er zuletzt in dieser verworrnen Wirth¬ schaft einen Reiz, den er in seiner stattlichen Prunkordnung niemals empfunden hatte. Es war ihm -- wenn er hier ihre Schnürbrust wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bette legte, um sich setzen zu können, wenn sie selbst mit unbefangener Freymüthigkeit manches Natürliche, das man sonst gegen einen andern aus Anstand zu verheimlichen pflegt, vor ihm nicht zu ver¬ bergen suchte -- es war ihm, sag' ich, als wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher würde, als wenn eine Gemeinschaft zwi¬
cher und Strohhüte, keines verſchmähte die Nachbarſchaft des andern, alle waren durch ein gemeinſchaftliches Element, durch Puder und Staub, vereinigt. Jedoch da Wilhelm in ihrer Gegenwart wenig von allem andern bemerkte, ja vielmehr ihm alles, was ihr ge¬ hörte, ſie berührt hatte, lieb werden mußte; ſo fand er zuletzt in dieſer verworrnen Wirth¬ ſchaft einen Reiz, den er in ſeiner ſtattlichen Prunkordnung niemals empfunden hatte. Es war ihm — wenn er hier ihre Schnürbruſt wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bette legte, um ſich ſetzen zu können, wenn ſie ſelbſt mit unbefangener Freymüthigkeit manches Natürliche, das man ſonſt gegen einen andern aus Anſtand zu verheimlichen pflegt, vor ihm nicht zu ver¬ bergen ſuchte — es war ihm, ſag’ ich, als wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher würde, als wenn eine Gemeinſchaft zwi¬
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cher und Strohhüte, keines verſchmähte die
Nachbarſchaft des andern, alle waren durch
ein gemeinſchaftliches Element, durch Puder
und Staub, vereinigt. Jedoch da Wilhelm
in ihrer Gegenwart wenig von allem andern
bemerkte, ja vielmehr ihm alles, was ihr ge¬
hörte, ſie berührt hatte, lieb werden mußte;
ſo fand er zuletzt in dieſer verworrnen Wirth¬
ſchaft einen Reiz, den er in ſeiner ſtattlichen
Prunkordnung niemals empfunden hatte. Es
war ihm — wenn er hier ihre Schnürbruſt
wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort
ihre Röcke aufs Bette legte, um ſich ſetzen
zu können, wenn ſie ſelbſt mit unbefangener
Freymüthigkeit manches Natürliche, das man
ſonſt gegen einen andern aus Anſtand zu
verheimlichen pflegt, vor ihm nicht zu ver¬
bergen ſuchte — es war ihm, ſag’ ich, als
wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher
würde, als wenn eine Gemeinſchaft zwi¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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