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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Da ich diese Arbeit fast ganz aus mir
selbst schöpfte, und das Latein geläufig sprach
und schrieb, so verstoß mir die Zeit, die ich
auf die Abhandlung verwendete, sehr ange¬
nehm. Die Sache hatte wenigstens einigen
Grund; die Darstellung war, rednerisch ge¬
nommen, nicht übel, das Ganze hatte eine
ziemliche Rundung. Sobald ich damit zu
Rande war, ging ich sie mit einem guten
Lateiner durch, der, ob er gleich meinen Styl
im Ganzen nicht verbessern konnte, doch alle
auffallenden Mängel mit leichter Hand ver¬
tilgte, so daß etwas zu Stande kam, das
sich aufzeigen ließ. Eine reinliche Abschrift
wurde meinem Vater sogleich zugeschickt, wel¬
cher zwar nicht billigte, daß keiner von den
früher vorgenommenen Gegenständen ausge¬
führt worden sey; jedoch mit der Kühnheit
des Unternehmens als ein völlig protestan¬
tisch Gesinnter wohl zufrieden war. Mein
Seltsames wurde geduldet, meine Anstren¬
gung gelobt, und er versprach sich von der

Da ich dieſe Arbeit faſt ganz aus mir
ſelbſt ſchoͤpfte, und das Latein gelaͤufig ſprach
und ſchrieb, ſo verſtoß mir die Zeit, die ich
auf die Abhandlung verwendete, ſehr ange¬
nehm. Die Sache hatte wenigſtens einigen
Grund; die Darſtellung war, redneriſch ge¬
nommen, nicht uͤbel, das Ganze hatte eine
ziemliche Rundung. Sobald ich damit zu
Rande war, ging ich ſie mit einem guten
Lateiner durch, der, ob er gleich meinen Styl
im Ganzen nicht verbeſſern konnte, doch alle
auffallenden Maͤngel mit leichter Hand ver¬
tilgte, ſo daß etwas zu Stande kam, das
ſich aufzeigen ließ. Eine reinliche Abſchrift
wurde meinem Vater ſogleich zugeſchickt, wel¬
cher zwar nicht billigte, daß keiner von den
fruͤher vorgenommenen Gegenſtaͤnden ausge¬
fuͤhrt worden ſey; jedoch mit der Kuͤhnheit
des Unternehmens als ein voͤllig proteſtan¬
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Seltſames wurde geduldet, meine Anſtren¬
gung gelobt, und er verſprach ſich von der

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[63/0071] Da ich dieſe Arbeit faſt ganz aus mir ſelbſt ſchoͤpfte, und das Latein gelaͤufig ſprach und ſchrieb, ſo verſtoß mir die Zeit, die ich auf die Abhandlung verwendete, ſehr ange¬ nehm. Die Sache hatte wenigſtens einigen Grund; die Darſtellung war, redneriſch ge¬ nommen, nicht uͤbel, das Ganze hatte eine ziemliche Rundung. Sobald ich damit zu Rande war, ging ich ſie mit einem guten Lateiner durch, der, ob er gleich meinen Styl im Ganzen nicht verbeſſern konnte, doch alle auffallenden Maͤngel mit leichter Hand ver¬ tilgte, ſo daß etwas zu Stande kam, das ſich aufzeigen ließ. Eine reinliche Abſchrift wurde meinem Vater ſogleich zugeſchickt, wel¬ cher zwar nicht billigte, daß keiner von den fruͤher vorgenommenen Gegenſtaͤnden ausge¬ fuͤhrt worden ſey; jedoch mit der Kuͤhnheit des Unternehmens als ein voͤllig proteſtan¬ tiſch Geſinnter wohl zufrieden war. Mein Seltſames wurde geduldet, meine Anſtren¬ gung gelobt, und er verſprach ſich von der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/71>, abgerufen am 03.05.2024.