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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ten viel davon erzählt: denn in Sesenheim
las ich was und wann man's verlangte. Ich
war sogleich bereit, nur bat ich um Ruhe
und Aufmerksamkeit auf mehrere Stunden.
Dieß ging man ein und ich las an einem
Abend den ganzen Hamlet ununterbrochen,
in den Sinn des Stücks eindringend wie
ich es nur vermochte, mit Lebhaftigkeit und
Leidenschaft mich ausdrückend, wie es der
Jugend gegeben ist. Ich ärndtete großen
Beyfall. Friedrike hatte von Zeit zu Zeit
tief geathmet und ihre Wangen eine fliegende
Nöthe überzogen. Diese beyden Symptome
eines bewegten zärtlichen Herzens, bey schein¬
barer Heiterkeit und Ruhe von außen, waren
mir nicht unbekannt und der einzige Lohn
nach dem ich strebte. Sie sammelte den
Dank, daß sie mich veranlaßt hatte, mit
Freuden ein und versagte sich, nach ihrer
zierlichen Weise, den kleinen Stolz nicht, in
mir und durch mich geglänzt zu haben.

ten viel davon erzaͤhlt: denn in Seſenheim
las ich was und wann man's verlangte. Ich
war ſogleich bereit, nur bat ich um Ruhe
und Aufmerkſamkeit auf mehrere Stunden.
Dieß ging man ein und ich las an einem
Abend den ganzen Hamlet ununterbrochen,
in den Sinn des Stuͤcks eindringend wie
ich es nur vermochte, mit Lebhaftigkeit und
Leidenſchaft mich ausdruͤckend, wie es der
Jugend gegeben iſt. Ich aͤrndtete großen
Beyfall. Friedrike hatte von Zeit zu Zeit
tief geathmet und ihre Wangen eine fliegende
Noͤthe uͤberzogen. Dieſe beyden Symptome
eines bewegten zaͤrtlichen Herzens, bey ſchein¬
barer Heiterkeit und Ruhe von außen, waren
mir nicht unbekannt und der einzige Lohn
nach dem ich ſtrebte. Sie ſammelte den
Dank, daß ſie mich veranlaßt hatte, mit
Freuden ein und verſagte ſich, nach ihrer
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[54/0062] ten viel davon erzaͤhlt: denn in Seſenheim las ich was und wann man's verlangte. Ich war ſogleich bereit, nur bat ich um Ruhe und Aufmerkſamkeit auf mehrere Stunden. Dieß ging man ein und ich las an einem Abend den ganzen Hamlet ununterbrochen, in den Sinn des Stuͤcks eindringend wie ich es nur vermochte, mit Lebhaftigkeit und Leidenſchaft mich ausdruͤckend, wie es der Jugend gegeben iſt. Ich aͤrndtete großen Beyfall. Friedrike hatte von Zeit zu Zeit tief geathmet und ihre Wangen eine fliegende Noͤthe uͤberzogen. Dieſe beyden Symptome eines bewegten zaͤrtlichen Herzens, bey ſchein¬ barer Heiterkeit und Ruhe von außen, waren mir nicht unbekannt und der einzige Lohn nach dem ich ſtrebte. Sie ſammelte den Dank, daß ſie mich veranlaßt hatte, mit Freuden ein und verſagte ſich, nach ihrer zierlichen Weiſe, den kleinen Stolz nicht, in mir und durch mich geglaͤnzt zu haben.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/62>, abgerufen am 03.05.2024.