manches erwähnen können, wenn nicht Per¬ sonen, die länger mit ihm gelebt, uns be¬ reits genugsam hievon unterrichtet hätten; aber einer Betrachtung kann ich mich nicht erweh¬ ren, daß nämlich Menschen, denen die Na¬ tur außerordentliche Vorzüge gegeben, sie aber in einen engen oder wenigstens nicht verhält¬ nißmäßigen Wirkungskreis gesetzt, gewöhnlich auf Sonderbarkeiten verfallen, und weil sie von ihren Gaben keinen directen Gebrauch zu machen wissen, sie auf außerordentlichen und wunderlichen Wegen geltend zu machen versuchen.
Zimmermann war gleichfalls eine Zeit lang unser Gast. Dieser, groß und stark gebaut, von Natur heftig und gerade vor sich hin, hatte doch sein Aeußeres und sein Be¬ tragen völlig in der Gewalt, so daß er im Umgang als ein gewandter weltmännischer Arzt erschien, und seinem innerlich ungebän¬ digten Charakter nur in Schriften und im
manches erwaͤhnen koͤnnen, wenn nicht Per¬ ſonen, die laͤnger mit ihm gelebt, uns be¬ reits genugſam hievon unterrichtet haͤtten; aber einer Betrachtung kann ich mich nicht erweh¬ ren, daß naͤmlich Menſchen, denen die Na¬ tur außerordentliche Vorzuͤge gegeben, ſie aber in einen engen oder wenigſtens nicht verhaͤlt¬ nißmaͤßigen Wirkungskreis geſetzt, gewoͤhnlich auf Sonderbarkeiten verfallen, und weil ſie von ihren Gaben keinen directen Gebrauch zu machen wiſſen, ſie auf außerordentlichen und wunderlichen Wegen geltend zu machen verſuchen.
Zimmermann war gleichfalls eine Zeit lang unſer Gaſt. Dieſer, groß und ſtark gebaut, von Natur heftig und gerade vor ſich hin, hatte doch ſein Aeußeres und ſein Be¬ tragen voͤllig in der Gewalt, ſo daß er im Umgang als ein gewandter weltmaͤnniſcher Arzt erſchien, und ſeinem innerlich ungebaͤn¬ digten Charakter nur in Schriften und im
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0519"n="511"/>
manches erwaͤhnen koͤnnen, wenn nicht Per¬<lb/>ſonen, die laͤnger mit ihm gelebt, uns be¬<lb/>
reits genugſam hievon unterrichtet haͤtten; aber<lb/>
einer Betrachtung kann ich mich nicht erweh¬<lb/>
ren, daß naͤmlich Menſchen, denen die Na¬<lb/>
tur außerordentliche Vorzuͤge gegeben, ſie aber<lb/>
in einen engen oder wenigſtens nicht verhaͤlt¬<lb/>
nißmaͤßigen Wirkungskreis geſetzt, gewoͤhnlich<lb/>
auf Sonderbarkeiten verfallen, und weil ſie<lb/>
von ihren Gaben keinen directen Gebrauch<lb/>
zu machen wiſſen, ſie auf außerordentlichen<lb/>
und wunderlichen Wegen geltend zu machen<lb/>
verſuchen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Zimmermann</hi> war gleichfalls eine Zeit<lb/>
lang unſer Gaſt. Dieſer, groß und ſtark<lb/>
gebaut, von Natur heftig und gerade vor ſich<lb/>
hin, hatte doch ſein Aeußeres und ſein Be¬<lb/>
tragen voͤllig in der Gewalt, ſo daß er im<lb/>
Umgang als ein gewandter weltmaͤnniſcher<lb/>
Arzt erſchien, und ſeinem innerlich ungebaͤn¬<lb/>
digten Charakter nur in Schriften und im<lb/></p></div></body></text></TEI>
[511/0519]
manches erwaͤhnen koͤnnen, wenn nicht Per¬
ſonen, die laͤnger mit ihm gelebt, uns be¬
reits genugſam hievon unterrichtet haͤtten; aber
einer Betrachtung kann ich mich nicht erweh¬
ren, daß naͤmlich Menſchen, denen die Na¬
tur außerordentliche Vorzuͤge gegeben, ſie aber
in einen engen oder wenigſtens nicht verhaͤlt¬
nißmaͤßigen Wirkungskreis geſetzt, gewoͤhnlich
auf Sonderbarkeiten verfallen, und weil ſie
von ihren Gaben keinen directen Gebrauch
zu machen wiſſen, ſie auf außerordentlichen
und wunderlichen Wegen geltend zu machen
verſuchen.
Zimmermann war gleichfalls eine Zeit
lang unſer Gaſt. Dieſer, groß und ſtark
gebaut, von Natur heftig und gerade vor ſich
hin, hatte doch ſein Aeußeres und ſein Be¬
tragen voͤllig in der Gewalt, ſo daß er im
Umgang als ein gewandter weltmaͤnniſcher
Arzt erſchien, und ſeinem innerlich ungebaͤn¬
digten Charakter nur in Schriften und im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/519>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.