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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Fälle angewendet und eben dadurch dem Ur¬
theil höchst ersprießlich werden kann.

Bey Tafel wurden diese Gespräche fortge¬
setzt, und sie erregten für mich ein besseres
Vorurtheil als ich vielleicht verdiente. Denn
anstatt daß ich diejenigen Arbeiten, die ich
selbst zu liefern vermochte, zum Gegenstand
des Gesprächs gemacht, für das Schauspiel,
für den Roman eine ungetheilte Aufmerksam¬
keit gefordert hätte; so schien ich vielmehr in
Mösern solche Schriftsteller vorzuziehen, de¬
ren Talent aus dem thätigen Leben ausging
und in dasselbe unmittelbar nützlich sogleich
wieder zurückkehrte, während eigentlich poeti¬
sche Arbeiten, die über dem Sittlichen und
Sinnlichen schweben, erst durch einen Um¬
schweif und gleichsam nur zufällig nützen kön¬
nen. Bey diesen Gesprächen ging es nun wie
bey den Mährchen der tausend und einen
Nacht: es schob sich eine bedeutende Materie
in und über die andere, manches Thema

Faͤlle angewendet und eben dadurch dem Ur¬
theil hoͤchſt erſprießlich werden kann.

Bey Tafel wurden dieſe Geſpraͤche fortge¬
ſetzt, und ſie erregten fuͤr mich ein beſſeres
Vorurtheil als ich vielleicht verdiente. Denn
anſtatt daß ich diejenigen Arbeiten, die ich
ſelbſt zu liefern vermochte, zum Gegenſtand
des Geſpraͤchs gemacht, fuͤr das Schauſpiel,
fuͤr den Roman eine ungetheilte Aufmerkſam¬
keit gefordert haͤtte; ſo ſchien ich vielmehr in
Moͤſern ſolche Schriftſteller vorzuziehen, de¬
ren Talent aus dem thaͤtigen Leben ausging
und in daſſelbe unmittelbar nuͤtzlich ſogleich
wieder zuruͤckkehrte, waͤhrend eigentlich poeti¬
ſche Arbeiten, die uͤber dem Sittlichen und
Sinnlichen ſchweben, erſt durch einen Um¬
ſchweif und gleichſam nur zufaͤllig nuͤtzen koͤn¬
nen. Bey dieſen Geſpraͤchen ging es nun wie
bey den Maͤhrchen der tauſend und einen
Nacht: es ſchob ſich eine bedeutende Materie
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[488/0496] Faͤlle angewendet und eben dadurch dem Ur¬ theil hoͤchſt erſprießlich werden kann. Bey Tafel wurden dieſe Geſpraͤche fortge¬ ſetzt, und ſie erregten fuͤr mich ein beſſeres Vorurtheil als ich vielleicht verdiente. Denn anſtatt daß ich diejenigen Arbeiten, die ich ſelbſt zu liefern vermochte, zum Gegenſtand des Geſpraͤchs gemacht, fuͤr das Schauſpiel, fuͤr den Roman eine ungetheilte Aufmerkſam¬ keit gefordert haͤtte; ſo ſchien ich vielmehr in Moͤſern ſolche Schriftſteller vorzuziehen, de¬ ren Talent aus dem thaͤtigen Leben ausging und in daſſelbe unmittelbar nuͤtzlich ſogleich wieder zuruͤckkehrte, waͤhrend eigentlich poeti¬ ſche Arbeiten, die uͤber dem Sittlichen und Sinnlichen ſchweben, erſt durch einen Um¬ ſchweif und gleichſam nur zufaͤllig nuͤtzen koͤn¬ nen. Bey dieſen Geſpraͤchen ging es nun wie bey den Maͤhrchen der tauſend und einen Nacht: es ſchob ſich eine bedeutende Materie in und uͤber die andere, manches Thema

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/496>, abgerufen am 23.11.2024.