Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

mir der Vorsatz, an dem Leben Maho¬
mets
, den ich nie als einen Betrüger hatte
ansehn können, jene von mir in der Wirklich¬
keit so lebhaft angeschauten Wege, die an¬
statt zum Heil, vielmehr zum Verderben füh¬
ren, dramatisch darzustellen. Ich hatte kurz
vorher das Leben des orientalischen Prophe¬
ten mit großem Interesse gelesen und studirt,
und war daher, als der Gedanke mir auf¬
ging, ziemlich vorbereitet. Das Ganze nä¬
herte sich mehr der regelmäßigen Form, zu
der ich mich schon wieder hinneigte, ob ich
mich gleich der dem Theater einmal errunge¬
nen Freyheit, mit Zeit und Ort nach Be¬
lieben schalten zu dürfen, mäßig bediente.
Das Stück fing mit einer Hymne an, wel¬
che Mahomet allein unter dem heiteren Nacht¬
himmel anstimmt. Erst verehrt er die un¬
endlichen Gestirne als eben so viele Götter;
dann steigt der freundliche Stern Gad (un¬
ser Jupiter) hervor, und nun wird diesem,

mir der Vorſatz, an dem Leben Maho¬
mets
, den ich nie als einen Betruͤger hatte
anſehn koͤnnen, jene von mir in der Wirklich¬
keit ſo lebhaft angeſchauten Wege, die an¬
ſtatt zum Heil, vielmehr zum Verderben fuͤh¬
ren, dramatiſch darzuſtellen. Ich hatte kurz
vorher das Leben des orientaliſchen Prophe¬
ten mit großem Intereſſe geleſen und ſtudirt,
und war daher, als der Gedanke mir auf¬
ging, ziemlich vorbereitet. Das Ganze naͤ¬
herte ſich mehr der regelmaͤßigen Form, zu
der ich mich ſchon wieder hinneigte, ob ich
mich gleich der dem Theater einmal errunge¬
nen Freyheit, mit Zeit und Ort nach Be¬
lieben ſchalten zu duͤrfen, maͤßig bediente.
Das Stuͤck fing mit einer Hymne an, wel¬
che Mahomet allein unter dem heiteren Nacht¬
himmel anſtimmt. Erſt verehrt er die un¬
endlichen Geſtirne als eben ſo viele Goͤtter;
dann ſteigt der freundliche Stern Gad (un¬
ſer Jupiter) hervor, und nun wird dieſem,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0460" n="452"/>
mir der Vor&#x017F;atz, an dem Leben <hi rendition="#g">Maho¬<lb/>
mets</hi>, den ich nie als einen Betru&#x0364;ger hatte<lb/>
an&#x017F;ehn ko&#x0364;nnen, jene von mir in der Wirklich¬<lb/>
keit &#x017F;o lebhaft ange&#x017F;chauten Wege, die an¬<lb/>
&#x017F;tatt zum Heil, vielmehr zum Verderben fu&#x0364;<lb/>
ren, dramati&#x017F;ch darzu&#x017F;tellen. Ich hatte kurz<lb/>
vorher das Leben des orientali&#x017F;chen Prophe¬<lb/>
ten mit großem Intere&#x017F;&#x017F;e gele&#x017F;en und &#x017F;tudirt,<lb/>
und war daher, als der Gedanke mir auf¬<lb/>
ging, ziemlich vorbereitet. Das Ganze na&#x0364;¬<lb/>
herte &#x017F;ich mehr der regelma&#x0364;ßigen Form, zu<lb/>
der ich mich &#x017F;chon wieder hinneigte, ob ich<lb/>
mich gleich der dem Theater einmal errunge¬<lb/>
nen Freyheit, mit Zeit und Ort nach Be¬<lb/>
lieben &#x017F;chalten zu du&#x0364;rfen, ma&#x0364;ßig bediente.<lb/>
Das Stu&#x0364;ck fing mit einer Hymne an, wel¬<lb/>
che Mahomet allein unter dem heiteren Nacht¬<lb/>
himmel an&#x017F;timmt. Er&#x017F;t verehrt er die un¬<lb/>
endlichen Ge&#x017F;tirne als eben &#x017F;o viele Go&#x0364;tter;<lb/>
dann &#x017F;teigt der freundliche Stern <hi rendition="#g">Gad</hi> (un¬<lb/>
&#x017F;er Jupiter) hervor, und nun wird die&#x017F;em,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[452/0460] mir der Vorſatz, an dem Leben Maho¬ mets, den ich nie als einen Betruͤger hatte anſehn koͤnnen, jene von mir in der Wirklich¬ keit ſo lebhaft angeſchauten Wege, die an¬ ſtatt zum Heil, vielmehr zum Verderben fuͤh¬ ren, dramatiſch darzuſtellen. Ich hatte kurz vorher das Leben des orientaliſchen Prophe¬ ten mit großem Intereſſe geleſen und ſtudirt, und war daher, als der Gedanke mir auf¬ ging, ziemlich vorbereitet. Das Ganze naͤ¬ herte ſich mehr der regelmaͤßigen Form, zu der ich mich ſchon wieder hinneigte, ob ich mich gleich der dem Theater einmal errunge¬ nen Freyheit, mit Zeit und Ort nach Be¬ lieben ſchalten zu duͤrfen, maͤßig bediente. Das Stuͤck fing mit einer Hymne an, wel¬ che Mahomet allein unter dem heiteren Nacht¬ himmel anſtimmt. Erſt verehrt er die un¬ endlichen Geſtirne als eben ſo viele Goͤtter; dann ſteigt der freundliche Stern Gad (un¬ ſer Jupiter) hervor, und nun wird dieſem,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/460
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/460>, abgerufen am 10.05.2024.