haupteten, eins sey so unzuverlässig als das andere. Daher beliebte es mir, mich zu Gunsten beyder zu erklären, ohne jedoch den Beyfall meiner Freunde gewinnen zu können. Beym Glauben, sagte ich, komme alles da¬ rauf an, daß man glaube; was man glau¬ be, sey völlig gleichgültig. Der Glaube sey ein großes Gefühl von Sicherheit für die Gegenwart und Zukunft, und diese Sicher¬ heit entspringe aus dem Zutrauen auf ein übergroßes, übermächtiges und unerforschli¬ ches Wesen. Auf die Unerschütterlichkeit die¬ ses Zutrauens komme alles an; wie wir uns aber dieses Wesen denken, dieß hänge von unsern übrigen Fähigkeiten, ja von den Um¬ ständen ab, und sey ganz gleichgültig. Der Glaube sey ein heiliges Gefäß, in welches ein Jeder sein Gefühl, seinen Verstand, sei¬ ne Einbildungskraft, so gut als er vermöge, zu opfern bereit stehe. Mit dem Wissen sey es gerade das Gegentheil; es komme gar nicht darauf an, daß man wisse, sondern
haupteten, eins ſey ſo unzuverlaͤſſig als das andere. Daher beliebte es mir, mich zu Gunſten beyder zu erklaͤren, ohne jedoch den Beyfall meiner Freunde gewinnen zu koͤnnen. Beym Glauben, ſagte ich, komme alles da¬ rauf an, daß man glaube; was man glau¬ be, ſey voͤllig gleichguͤltig. Der Glaube ſey ein großes Gefuͤhl von Sicherheit fuͤr die Gegenwart und Zukunft, und dieſe Sicher¬ heit entſpringe aus dem Zutrauen auf ein uͤbergroßes, uͤbermaͤchtiges und unerforſchli¬ ches Weſen. Auf die Unerſchuͤtterlichkeit die¬ ſes Zutrauens komme alles an; wie wir uns aber dieſes Weſen denken, dieß haͤnge von unſern uͤbrigen Faͤhigkeiten, ja von den Um¬ ſtaͤnden ab, und ſey ganz gleichguͤltig. Der Glaube ſey ein heiliges Gefaͤß, in welches ein Jeder ſein Gefuͤhl, ſeinen Verſtand, ſei¬ ne Einbildungskraft, ſo gut als er vermoͤge, zu opfern bereit ſtehe. Mit dem Wiſſen ſey es gerade das Gegentheil; es komme gar nicht darauf an, daß man wiſſe, ſondern
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haupteten, eins ſey ſo unzuverlaͤſſig als das
andere. Daher beliebte es mir, mich zu
Gunſten beyder zu erklaͤren, ohne jedoch den
Beyfall meiner Freunde gewinnen zu koͤnnen.
Beym Glauben, ſagte ich, komme alles da¬
rauf an, daß man glaube; was man glau¬
be, ſey voͤllig gleichguͤltig. Der Glaube ſey
ein großes Gefuͤhl von Sicherheit fuͤr die
Gegenwart und Zukunft, und dieſe Sicher¬
heit entſpringe aus dem Zutrauen auf ein
uͤbergroßes, uͤbermaͤchtiges und unerforſchli¬
ches Weſen. Auf die Unerſchuͤtterlichkeit die¬
ſes Zutrauens komme alles an; wie wir uns
aber dieſes Weſen denken, dieß haͤnge von
unſern uͤbrigen Faͤhigkeiten, ja von den Um¬
ſtaͤnden ab, und ſey ganz gleichguͤltig. Der
Glaube ſey ein heiliges Gefaͤß, in welches
ein Jeder ſein Gefuͤhl, ſeinen Verſtand, ſei¬
ne Einbildungskraft, ſo gut als er vermoͤge,
zu opfern bereit ſtehe. Mit dem Wiſſen ſey
es gerade das Gegentheil; es komme gar
nicht darauf an, daß man wiſſe, ſondern
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/420>, abgerufen am 24.11.2024.
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