Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

mit deswegen, weil der Verfasser, ein Edel¬
mann und Hofgenosse, die eigne Classe nicht
eben schonend behandelte. Den entschiedensten
Schritt jedoch that Lessing in der Emilia
Galotti
, wo die Leidenschaften und ränke¬
vollen Verhältnisse der höheren Regionen schnei¬
dend und bitter geschildert sind. Alle diese
Dinge sagten dem aufgeregten Zeitsinne voll¬
kommen zu, und Menschen von weniger Geist
und Talent glaubten das Gleiche, ja noch
mehr thun zu dürfen; wie denn Großmann
in sechs unappetitlichen Schüsseln alie
Leckerspeisen seiner Pöbelküche dem schadenfro¬
hen Publicum auftischte. Ein redlicher Mann,
Hofrath Reinhard, machte bey dieser un¬
erfreulichen Tafel den Haushofmeister, zu
Trost und Erbauung sämmtlicher Gäste. Von
dieser Zeit an wählte man die theatralischen
Bösewichter immer aus den höheren Stän¬
den; doch mußte die Person Cammerjunker
oder wenigstens Geheimsecretair seyn, um sich
einer solchen Auszeichnung würdig zu machen.

mit deswegen, weil der Verfaſſer, ein Edel¬
mann und Hofgenoſſe, die eigne Claſſe nicht
eben ſchonend behandelte. Den entſchiedenſten
Schritt jedoch that Leſſing in der Emilia
Galotti
, wo die Leidenſchaften und raͤnke¬
vollen Verhaͤltniſſe der hoͤheren Regionen ſchnei¬
dend und bitter geſchildert ſind. Alle dieſe
Dinge ſagten dem aufgeregten Zeitſinne voll¬
kommen zu, und Menſchen von weniger Geiſt
und Talent glaubten das Gleiche, ja noch
mehr thun zu duͤrfen; wie denn Großmann
in ſechs unappetitlichen Schuͤſſeln alie
Leckerſpeiſen ſeiner Poͤbelkuͤche dem ſchadenfro¬
hen Publicum auftiſchte. Ein redlicher Mann,
Hofrath Reinhard, machte bey dieſer un¬
erfreulichen Tafel den Haushofmeiſter, zu
Troſt und Erbauung ſaͤmmtlicher Gaͤſte. Von
dieſer Zeit an waͤhlte man die theatraliſchen
Boͤſewichter immer aus den hoͤheren Staͤn¬
den; doch mußte die Perſon Cammerjunker
oder wenigſtens Geheimſecretair ſeyn, um ſich
einer ſolchen Auszeichnung wuͤrdig zu machen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="300"/>
mit deswegen, weil der Verfa&#x017F;&#x017F;er, ein Edel¬<lb/>
mann und Hofgeno&#x017F;&#x017F;e, die eigne Cla&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
eben &#x017F;chonend behandelte. Den ent&#x017F;chieden&#x017F;ten<lb/>
Schritt jedoch that Le&#x017F;&#x017F;ing in der <hi rendition="#g">Emilia<lb/>
Galotti</hi>, wo die Leiden&#x017F;chaften und ra&#x0364;nke¬<lb/>
vollen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der ho&#x0364;heren Regionen &#x017F;chnei¬<lb/>
dend und bitter ge&#x017F;childert &#x017F;ind. Alle die&#x017F;e<lb/>
Dinge &#x017F;agten dem aufgeregten Zeit&#x017F;inne voll¬<lb/>
kommen zu, und Men&#x017F;chen von weniger Gei&#x017F;t<lb/>
und Talent glaubten das Gleiche, ja noch<lb/>
mehr thun zu du&#x0364;rfen; wie denn <hi rendition="#g">Großmann</hi><lb/>
in &#x017F;echs unappetitlichen <hi rendition="#g">Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln</hi> alie<lb/>
Lecker&#x017F;pei&#x017F;en &#x017F;einer Po&#x0364;belku&#x0364;che dem &#x017F;chadenfro¬<lb/>
hen Publicum aufti&#x017F;chte. Ein redlicher Mann,<lb/><hi rendition="#g">Hofrath Reinhard</hi>, machte bey die&#x017F;er un¬<lb/>
erfreulichen Tafel den Haushofmei&#x017F;ter, zu<lb/>
Tro&#x017F;t und Erbauung &#x017F;a&#x0364;mmtlicher Ga&#x0364;&#x017F;te. Von<lb/>
die&#x017F;er Zeit an wa&#x0364;hlte man die theatrali&#x017F;chen<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;ewichter immer aus den ho&#x0364;heren Sta&#x0364;<lb/>
den; doch mußte die Per&#x017F;on Cammerjunker<lb/>
oder wenig&#x017F;tens Geheim&#x017F;ecretair &#x017F;eyn, um &#x017F;ich<lb/>
einer &#x017F;olchen Auszeichnung wu&#x0364;rdig zu machen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0308] mit deswegen, weil der Verfaſſer, ein Edel¬ mann und Hofgenoſſe, die eigne Claſſe nicht eben ſchonend behandelte. Den entſchiedenſten Schritt jedoch that Leſſing in der Emilia Galotti, wo die Leidenſchaften und raͤnke¬ vollen Verhaͤltniſſe der hoͤheren Regionen ſchnei¬ dend und bitter geſchildert ſind. Alle dieſe Dinge ſagten dem aufgeregten Zeitſinne voll¬ kommen zu, und Menſchen von weniger Geiſt und Talent glaubten das Gleiche, ja noch mehr thun zu duͤrfen; wie denn Großmann in ſechs unappetitlichen Schuͤſſeln alie Leckerſpeiſen ſeiner Poͤbelkuͤche dem ſchadenfro¬ hen Publicum auftiſchte. Ein redlicher Mann, Hofrath Reinhard, machte bey dieſer un¬ erfreulichen Tafel den Haushofmeiſter, zu Troſt und Erbauung ſaͤmmtlicher Gaͤſte. Von dieſer Zeit an waͤhlte man die theatraliſchen Boͤſewichter immer aus den hoͤheren Staͤn¬ den; doch mußte die Perſon Cammerjunker oder wenigſtens Geheimſecretair ſeyn, um ſich einer ſolchen Auszeichnung wuͤrdig zu machen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/308
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/308>, abgerufen am 20.05.2024.