rede nicht mit Nachdruck geführt werden, als wenn man das Theater nicht allein für un¬ schädlich, sondern sogar für nützlich angab. Um nützlich zu seyn, mußte es sittlich seyn, und dazu bildete es sich im nördlichen Deutsch¬ land um so mehr aus, als durch einen ge¬ wissen Halbgeschmack die lustige Person ver¬ trieben ward, und obgleich geistreiche Köpfe für sie einsprachen, dennoch weichen mußte, da sie sich bereits von der Derbheit des deut¬ schen Hanswursts gegen die Niedlichkeit und Zierlichkeit der italiänischen und franzö¬ sischen Harlekine gewendet hatte. Selbst Scapin und Crispin verschwanden nach und nach; den letztern habe ich zum letzten Mal von Koch, in seinem hohen Alter spie¬ len sehn.
Schon die Richardsonschen Romane hatten, die bürgerliche Welt auf eine zartere Sittlichkeit aufmerksam gemacht. Die stren¬ gen und unausbleiblichen Folgen eines weib¬
rede nicht mit Nachdruck gefuͤhrt werden, als wenn man das Theater nicht allein fuͤr un¬ ſchaͤdlich, ſondern ſogar fuͤr nuͤtzlich angab. Um nuͤtzlich zu ſeyn, mußte es ſittlich ſeyn, und dazu bildete es ſich im noͤrdlichen Deutſch¬ land um ſo mehr aus, als durch einen ge¬ wiſſen Halbgeſchmack die luſtige Perſon ver¬ trieben ward, und obgleich geiſtreiche Koͤpfe fuͤr ſie einſprachen, dennoch weichen mußte, da ſie ſich bereits von der Derbheit des deut¬ ſchen Hanswurſts gegen die Niedlichkeit und Zierlichkeit der italiaͤniſchen und franzoͤ¬ ſiſchen Harlekine gewendet hatte. Selbſt Scapin und Crispin verſchwanden nach und nach; den letztern habe ich zum letzten Mal von Koch, in ſeinem hohen Alter ſpie¬ len ſehn.
Schon die Richardſonſchen Romane hatten, die buͤrgerliche Welt auf eine zartere Sittlichkeit aufmerkſam gemacht. Die ſtren¬ gen und unausbleiblichen Folgen eines weib¬
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rede nicht mit Nachdruck gefuͤhrt werden, als
wenn man das Theater nicht allein fuͤr un¬
ſchaͤdlich, ſondern ſogar fuͤr nuͤtzlich angab.
Um nuͤtzlich zu ſeyn, mußte es ſittlich ſeyn,
und dazu bildete es ſich im noͤrdlichen Deutſch¬
land um ſo mehr aus, als durch einen ge¬
wiſſen Halbgeſchmack die luſtige Perſon ver¬
trieben ward, und obgleich geiſtreiche Koͤpfe
fuͤr ſie einſprachen, dennoch weichen mußte,
da ſie ſich bereits von der Derbheit des deut¬
ſchen Hanswurſts gegen die Niedlichkeit
und Zierlichkeit der italiaͤniſchen und franzoͤ¬
ſiſchen Harlekine gewendet hatte. Selbſt
Scapin und Crispin verſchwanden nach
und nach; den letztern habe ich zum letzten
Mal von Koch, in ſeinem hohen Alter ſpie¬
len ſehn.
Schon die Richardſonſchen Romane
hatten, die buͤrgerliche Welt auf eine zartere
Sittlichkeit aufmerkſam gemacht. Die ſtren¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/303>, abgerufen am 17.05.2024.
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