Meisters, des Grafen Stadion, Chur¬ maynzischen Ministers, welcher gewiß nicht geeignet war, den Welt- und Kaltsinn des Knaben durch Ehrfurcht vor irgend einem Ahndungsvollen in's Gleichgewicht zu setzen.
Eine Anecdote von dem großen practischen Sinne des Grafen hingegen möge hier Platz finden. Als er den verwaisten Laroche lieb gewann und zu seinem Zögling erkohr, for¬ derte er von dem Knaben gleich die Dienste eines Secretairs. Er gab ihm Briefe zu be¬ antworten, Depeschen auszuarbeiten, die denn auch von ihm mundirt, öfter schiffrirt, gesie¬ gelt und überschrieben werden mußten. Die¬ ses dauerte mehrere Jahre. Als der Knabe zum Jüngling herangereift war und dasjenige wirklich leistete, was er sich bisher nur ein¬ gebildet hatte, führte ihn der Graf an einen großen Schreibtisch, in welchem sämmtliche Briefe und Paquete, unerbrochen, als Exerci¬ tien der erstern Zeit, aufbewahrt lagen.
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Meiſters, des Grafen Stadion, Chur¬ maynziſchen Miniſters, welcher gewiß nicht geeignet war, den Welt- und Kaltſinn des Knaben durch Ehrfurcht vor irgend einem Ahndungsvollen in's Gleichgewicht zu ſetzen.
Eine Anecdote von dem großen practiſchen Sinne des Grafen hingegen moͤge hier Platz finden. Als er den verwaiſten Laroche lieb gewann und zu ſeinem Zoͤgling erkohr, for¬ derte er von dem Knaben gleich die Dienſte eines Secretairs. Er gab ihm Briefe zu be¬ antworten, Depeſchen auszuarbeiten, die denn auch von ihm mundirt, oͤfter ſchiffrirt, geſie¬ gelt und uͤberſchrieben werden mußten. Die¬ ſes dauerte mehrere Jahre. Als der Knabe zum Juͤngling herangereift war und dasjenige wirklich leiſtete, was er ſich bisher nur ein¬ gebildet hatte, fuͤhrte ihn der Graf an einen großen Schreibtiſch, in welchem ſaͤmmtliche Briefe und Paquete, unerbrochen, als Exerci¬ tien der erſtern Zeit, aufbewahrt lagen.
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[275/0283]
Meiſters, des Grafen Stadion, Chur¬
maynziſchen Miniſters, welcher gewiß nicht
geeignet war, den Welt- und Kaltſinn des
Knaben durch Ehrfurcht vor irgend einem
Ahndungsvollen in's Gleichgewicht zu ſetzen.
Eine Anecdote von dem großen practiſchen
Sinne des Grafen hingegen moͤge hier Platz
finden. Als er den verwaiſten Laroche lieb
gewann und zu ſeinem Zoͤgling erkohr, for¬
derte er von dem Knaben gleich die Dienſte
eines Secretairs. Er gab ihm Briefe zu be¬
antworten, Depeſchen auszuarbeiten, die denn
auch von ihm mundirt, oͤfter ſchiffrirt, geſie¬
gelt und uͤberſchrieben werden mußten. Die¬
ſes dauerte mehrere Jahre. Als der Knabe
zum Juͤngling herangereift war und dasjenige
wirklich leiſtete, was er ſich bisher nur ein¬
gebildet hatte, fuͤhrte ihn der Graf an einen
großen Schreibtiſch, in welchem ſaͤmmtliche
Briefe und Paquete, unerbrochen, als Exerci¬
tien der erſtern Zeit, aufbewahrt lagen.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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