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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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was die gute Meynung, die wir von uns
selbst hegen, verletzen könnte, und ich bemerk¬
te nun erst, daß ich wirklich auf meine Schwe¬
ster eifersüchtig sey: eine Empfindung, die ich
mir um so weniger verbarg, als seit meiner
Rückkehr von Straßburg unser Verhältniß
noch viel inniger geworden war. Wie viel
Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬
selseitig die kleinen Herzensangelegenheiten,
Liebes- und andere Händel mitzutheilen, die
in der Zwischenzeit vorgefallen waren! und
hatte sich nicht auch im Felde der Einbildungs¬
kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in
die ich sie doch auch einführen mußte? Meine
eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬
breitete Weltpoesie, mußten ihr nach und nach
bekannt werden. So übersetzte ich ihr aus
dem Stegreife solche Homerische Stellen, an
denen sie zunächst Antheil nehmen konnte.
Die Clarkesche wörtliche Uebersetzung las ich
deutsch, so gut es gehen wollte, herunter,
mein Vortrag verwandelte sich gewöhnlich in

was die gute Meynung, die wir von uns
ſelbſt hegen, verletzen koͤnnte, und ich bemerk¬
te nun erſt, daß ich wirklich auf meine Schwe¬
ſter eiferſuͤchtig ſey: eine Empfindung, die ich
mir um ſo weniger verbarg, als ſeit meiner
Ruͤckkehr von Straßburg unſer Verhaͤltniß
noch viel inniger geworden war. Wie viel
Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬
ſelſeitig die kleinen Herzensangelegenheiten,
Liebes- und andere Haͤndel mitzutheilen, die
in der Zwiſchenzeit vorgefallen waren! und
hatte ſich nicht auch im Felde der Einbildungs¬
kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in
die ich ſie doch auch einfuͤhren mußte? Meine
eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬
breitete Weltpoeſie, mußten ihr nach und nach
bekannt werden. So uͤberſetzte ich ihr aus
dem Stegreife ſolche Homeriſche Stellen, an
denen ſie zunaͤchſt Antheil nehmen konnte.
Die Clarkeſche woͤrtliche Ueberſetzung las ich
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[256/0264] was die gute Meynung, die wir von uns ſelbſt hegen, verletzen koͤnnte, und ich bemerk¬ te nun erſt, daß ich wirklich auf meine Schwe¬ ſter eiferſuͤchtig ſey: eine Empfindung, die ich mir um ſo weniger verbarg, als ſeit meiner Ruͤckkehr von Straßburg unſer Verhaͤltniß noch viel inniger geworden war. Wie viel Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wech¬ ſelſeitig die kleinen Herzensangelegenheiten, Liebes- und andere Haͤndel mitzutheilen, die in der Zwiſchenzeit vorgefallen waren! und hatte ſich nicht auch im Felde der Einbildungs¬ kraft vor mir eine neue Welt aufgethan, in die ich ſie doch auch einfuͤhren mußte? Meine eignen kleinen Machwerke, eine weit ausge¬ breitete Weltpoeſie, mußten ihr nach und nach bekannt werden. So uͤberſetzte ich ihr aus dem Stegreife ſolche Homeriſche Stellen, an denen ſie zunaͤchſt Antheil nehmen konnte. Die Clarkeſche woͤrtliche Ueberſetzung las ich deutſch, ſo gut es gehen wollte, herunter, mein Vortrag verwandelte ſich gewoͤhnlich in

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/264>, abgerufen am 17.05.2024.