Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruht nun, wie Man sagt, in der Sehn¬
sucht das größte Glück, und darf die wahre
Sehnsucht nur auf ein Unerreichbares gerich¬
tet seyn; so traf wohl alles zusammen, um
den Jüngling, den wir gegenwärtig auf seinen
Irrgängen begleiten, zum glücklichsten Sterb¬
lichen zu machen. Die Neigung zu einer ver¬
sagten Braut, das Bestreben Meisterstücke
fremder Literatur der unsrigen zu erwerben
und anzueignen, die Bemühung Naturgegen¬
stände nicht nur mit Worten, sondern auch
mit Griffel und Pinsel, ohne eigentliche Tech¬
nik, nachzuahmen: jedes einzeln wäre schon
hinreichend gewesen, das Herz zu schwellen
und die Brust zu beklemmen. Damit aber
der so süß leidende aus diesen Zuständen ge¬
rissen und ihm zu neuer Unruhe neue Ver¬
hältnisse bereitet würden, so ergab sich fol¬
gendes.

In Gießen befand sich Höpfner, Pro¬
fessor der Rechte. Er war als tüchtig in sei¬

III. 16

Ruht nun, wie Man ſagt, in der Sehn¬
ſucht das groͤßte Gluͤck, und darf die wahre
Sehnſucht nur auf ein Unerreichbares gerich¬
tet ſeyn; ſo traf wohl alles zuſammen, um
den Juͤngling, den wir gegenwaͤrtig auf ſeinen
Irrgaͤngen begleiten, zum gluͤcklichſten Sterb¬
lichen zu machen. Die Neigung zu einer ver¬
ſagten Braut, das Beſtreben Meiſterſtuͤcke
fremder Literatur der unſrigen zu erwerben
und anzueignen, die Bemuͤhung Naturgegen¬
ſtaͤnde nicht nur mit Worten, ſondern auch
mit Griffel und Pinſel, ohne eigentliche Tech¬
nik, nachzuahmen: jedes einzeln waͤre ſchon
hinreichend geweſen, das Herz zu ſchwellen
und die Bruſt zu beklemmen. Damit aber
der ſo ſuͤß leidende aus dieſen Zuſtaͤnden ge¬
riſſen und ihm zu neuer Unruhe neue Ver¬
haͤltniſſe bereitet wuͤrden, ſo ergab ſich fol¬
gendes.

In Gießen befand ſich Hoͤpfner, Pro¬
feſſor der Rechte. Er war als tuͤchtig in ſei¬

III. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0249" n="241"/>
        <p>Ruht nun, wie Man &#x017F;agt, in der Sehn¬<lb/>
&#x017F;ucht das gro&#x0364;ßte Glu&#x0364;ck, und darf die wahre<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nur auf ein Unerreichbares gerich¬<lb/>
tet &#x017F;eyn; &#x017F;o traf wohl alles zu&#x017F;ammen, um<lb/>
den Ju&#x0364;ngling, den wir gegenwa&#x0364;rtig auf &#x017F;einen<lb/>
Irrga&#x0364;ngen begleiten, zum glu&#x0364;cklich&#x017F;ten Sterb¬<lb/>
lichen zu machen. Die Neigung zu einer ver¬<lb/>
&#x017F;agten Braut, das Be&#x017F;treben Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cke<lb/>
fremder Literatur der un&#x017F;rigen zu erwerben<lb/>
und anzueignen, die Bemu&#x0364;hung Naturgegen¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde nicht nur mit Worten, &#x017F;ondern auch<lb/>
mit Griffel und Pin&#x017F;el, ohne eigentliche Tech¬<lb/>
nik, nachzuahmen: jedes einzeln wa&#x0364;re &#x017F;chon<lb/>
hinreichend gewe&#x017F;en, das Herz zu &#x017F;chwellen<lb/>
und die Bru&#x017F;t zu beklemmen. Damit aber<lb/>
der &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ß leidende aus die&#x017F;en Zu&#x017F;ta&#x0364;nden ge¬<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en und ihm zu neuer Unruhe neue Ver¬<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e bereitet wu&#x0364;rden, &#x017F;o ergab &#x017F;ich fol¬<lb/>
gendes.</p><lb/>
        <p>In <hi rendition="#g">Gießen</hi> befand &#x017F;ich <hi rendition="#g">Ho&#x0364;pfner</hi>, Pro¬<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;or der Rechte. Er war als tu&#x0364;chtig in &#x017F;ei¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">III. 16<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0249] Ruht nun, wie Man ſagt, in der Sehn¬ ſucht das groͤßte Gluͤck, und darf die wahre Sehnſucht nur auf ein Unerreichbares gerich¬ tet ſeyn; ſo traf wohl alles zuſammen, um den Juͤngling, den wir gegenwaͤrtig auf ſeinen Irrgaͤngen begleiten, zum gluͤcklichſten Sterb¬ lichen zu machen. Die Neigung zu einer ver¬ ſagten Braut, das Beſtreben Meiſterſtuͤcke fremder Literatur der unſrigen zu erwerben und anzueignen, die Bemuͤhung Naturgegen¬ ſtaͤnde nicht nur mit Worten, ſondern auch mit Griffel und Pinſel, ohne eigentliche Tech¬ nik, nachzuahmen: jedes einzeln waͤre ſchon hinreichend geweſen, das Herz zu ſchwellen und die Bruſt zu beklemmen. Damit aber der ſo ſuͤß leidende aus dieſen Zuſtaͤnden ge¬ riſſen und ihm zu neuer Unruhe neue Ver¬ haͤltniſſe bereitet wuͤrden, ſo ergab ſich fol¬ gendes. In Gießen befand ſich Hoͤpfner, Pro¬ feſſor der Rechte. Er war als tuͤchtig in ſei¬ III. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/249
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/249>, abgerufen am 23.11.2024.