Verlobte, nach vollbrachten häuslichen Bemü¬ hungen, sich sonst unterhielt und sich gesellig auf Spaziergängen und Landpartieen mit Freunden und Freundinnen ergetzte. Lotte -- denn so wird sie denn doch wohl heißen -- war anspruchslos in doppeltem Sinne: erst ihrer Natur nach, die mehr auf ein allgemei¬ nes Wohlwollen als auf besondere Neigungen gerichtet war, und dann hatte sie sich ja für einen Mann bestimmt, der, ihrer werth, sein Schicksal an das ihrige für's Leben zu knüpfen sich bereit erklären mochte. Die heiterste Luft wehte in ihrer Umgebung. Ja, wenn es schon ein angenehmer Anblick ist, zu sehen, daß Eltern ihren Kindern eine ununterbroche¬ ne Sorgfalt widmen, so hat es noch etwas schöneres, wenn Geschwister Geschwistern das Gleiche leisten. Dort glauben wir mehr Na¬ turtrieb und bürgerliches Herkommen, hier mehr Wahl und freyes Gemüth zu erblicken.
Verlobte, nach vollbrachten haͤuslichen Bemuͤ¬ hungen, ſich ſonſt unterhielt und ſich geſellig auf Spaziergaͤngen und Landpartieen mit Freunden und Freundinnen ergetzte. Lotte — denn ſo wird ſie denn doch wohl heißen — war anſpruchslos in doppeltem Sinne: erſt ihrer Natur nach, die mehr auf ein allgemei¬ nes Wohlwollen als auf beſondere Neigungen gerichtet war, und dann hatte ſie ſich ja fuͤr einen Mann beſtimmt, der, ihrer werth, ſein Schickſal an das ihrige fuͤr's Leben zu knuͤpfen ſich bereit erklaͤren mochte. Die heiterſte Luft wehte in ihrer Umgebung. Ja, wenn es ſchon ein angenehmer Anblick iſt, zu ſehen, daß Eltern ihren Kindern eine ununterbroche¬ ne Sorgfalt widmen, ſo hat es noch etwas ſchoͤneres, wenn Geſchwiſter Geſchwiſtern das Gleiche leiſten. Dort glauben wir mehr Na¬ turtrieb und buͤrgerliches Herkommen, hier mehr Wahl und freyes Gemuͤth zu erblicken.
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Verlobte, nach vollbrachten haͤuslichen Bemuͤ¬
hungen, ſich ſonſt unterhielt und ſich geſellig
auf Spaziergaͤngen und Landpartieen mit
Freunden und Freundinnen ergetzte. Lotte —
denn ſo wird ſie denn doch wohl heißen —
war anſpruchslos in doppeltem Sinne: erſt
ihrer Natur nach, die mehr auf ein allgemei¬
nes Wohlwollen als auf beſondere Neigungen
gerichtet war, und dann hatte ſie ſich ja fuͤr
einen Mann beſtimmt, der, ihrer werth, ſein
Schickſal an das ihrige fuͤr's Leben zu knuͤpfen
ſich bereit erklaͤren mochte. Die heiterſte Luft
wehte in ihrer Umgebung. Ja, wenn es
ſchon ein angenehmer Anblick iſt, zu ſehen,
daß Eltern ihren Kindern eine ununterbroche¬
ne Sorgfalt widmen, ſo hat es noch etwas
ſchoͤneres, wenn Geſchwiſter Geſchwiſtern das
Gleiche leiſten. Dort glauben wir mehr Na¬
turtrieb und buͤrgerliches Herkommen, hier
mehr Wahl und freyes Gemuͤth zu erblicken.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/242>, abgerufen am 23.11.2024.
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